Zugleich berichtete Stephan Eisel aus seinem im Verlag Beethoven-Haus erschienenen Buch „Beethoven – Die 22 Bonner Jahre“.
Moderiert wird das Gesprächskonzert von Prof. Dr. Christine Siegert, der Leiterin des Forschungszentrum Beethoven-Archiv im Beethoven-Haus Bonn. Sie stellte auch das Buch von Eisel vor.
Die Matinee war vom Direktor des Beethoven-Hauses Maltes Boecker eröffnet worden.
Den Text von Christine Siegert zur Vorstellung des Buchs "Beethoven - die 22 Bonner Jahre" von Stephan Eisel können Sie hier ausdrucken.
Zur CD "Origins - Beethovens Jugendwerke" von Dmitry Gladkov erfahren Sie hier.
Am 23. Dezember 1827 kündigte Beethovens Jugendfreund Franz Gerhard Wegeler dessen späterem Biographen Anton Schindler an, er wolle ihm „2 Stückchen [schicken], die Bhven für meine Frau componirte“. Eines der beiden Stücke, das Adagio in F-Dur WoO 51 Nr. 2, hat Dimitri Gladkov gerade für uns gespielt. Wegelers Frau, das war Eleonore von Breuning, der Beethoven in seinen Bonner Jahren Klavierunterricht erteilt hatte.
Franz Gerhard Wegeler und Eleonore von Breuning sind zwei der Protagonisten in dem Buch „Beethoven – die 22 Bonner Jahre“ von Stephan Eisel, das zum 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven im Dezember letzten Jahres erschienen ist. Es ist das erste einschlägige Buch, das nach fast 100 Jahren zum Thema publiziert wurde (nach dem 1. Band von Thayers Biographie in der Fassung von Hugo Riemann von 1917 und Ludwig Schiedermairs „Der junge Beethoven 1925), und ich freue mich sehr, dass wir das Buch im Verlag Beethoven-Haus herausbringen konnten.
Wenn ich auf die gemeinsame Arbeit an dem Buch zurückblicke, fällt auf, wie systematisch Stephan Eisel das ja doch sehr komplexe und vielfältige Thema angegangen ist, und das zeigt sich auch in der klaren Gliederung seines Buches. Ich fange von innen heraus an.
In sechs zentralen Kapiteln widmet er sich dem Leben und Wirken Beethovens in seiner Geburtsstadt. Die ersten drei dieser Kapitel sind biographisch angelegt. Alles beginnt mit dem Engagement des Großvaters Ludwig nach Bonn. Er kam aus Mechelen, aus den damaligen habsburgischen Niederlanden, nach Bonn als Sänger in die Hofkapelle. Er war ein geachteter Mann und stieg bis zum Hofkapellmeister auf – das höchste Amt, das ein Hofmusiker bekleiden konnte. Nach dem Blick auf die Familie weitet Stephan Eisel die Perspektive auf die Bildung Beethovens zur Persönlichkeit, bei der die erste Wien-Reise eine wesentliche Rolle spielte. Hier erfahren wir Neues über Beethovens Reisebegleiter, über die musikalischen Eindrücke, die er auf der Reise und in der Kaiserstadt sammeln konnte, und die Persönlichkeiten, die er unterwegs traf. Last but not least stehen hier Beethovens Bonner Freunde im Mittelpunkt: Franz Gerhard Wegeler, den ich eben bereits erwähnt habe, und die Familie von Breuning, dann Beethovens Jugendfreundinnen und schließlich der sogenannte Zehrgarten-Kreis, dem u.a. Graf Waldstein, der wichtige Gönner Beethovens, angehörte, der Beethoven in das Stammbuch schrieb, das seine Freund ihm mit auf den Weg nach Wien gaben, er möge dort „Mozart’s Geist aus Haydens Händen“ empfangen.
Das dritte biographische Kapitel beschäftigt sich mit Beethovens unfreiwilliger Übersiedlung nach Wien. Es beginnt mit dem Besuch Joseph Haydns in Bonn; weiter geht es mit der lebenslangen Sehnsucht Beethovens nach dem Rheinland, die unter anderem in seinen Briefen dokumentiert ist. Einer meiner Lieblingsabschnitte ist das Unterkapitel „Bonner in Wien“, das lebendig das Netzwerk von Bonnern herausarbeitet, in dem Beethoven sich in Wien bewegte:
„Fast zeitgleich mit Beethovens Brüdern kam mit Franz Gerhard Wegeler auch einer der engsten Freunde des Komponisten nach Wien. Er fürchtete im Oktober 1794 als Rektor der kurfürstlichen Universität um sein Leben und floh deshalb vor den Franzosen aus Bonn. In Wien nahm Wegeler sofort Kontakt zu Beethoven auf:
‚So trafen wir mit den nämlichen ungeschwächten Gefühlen abermals zusammen und nun verging nur selten ein Tag, ohne daß wir uns sahen.‘
Da Wegeler 1787–1789 in Wien studiert hatte, konnte er sein Kontaktnetz in der Stadt auch Beethoven zur Verfügung stellen. Er selbst erhielt sein Professorengehalt aus Bonn weiter, verfasste medizinische Schriften und war in Wiener Medizinerkreisen eine angesehene Persönlichkeit.
Lorenz von Breuning war mit Franz Gerhard Wegeler nach Wien gekommen, um bei Wegelers früherem Lehrer Johann Nepomuk Hunczovsky Medizin zu studieren. Das Haus des Medizinprofessors wurde ein Treffpunkt der Bonner Freunde.“
Wichtig ist auch, dass wir in diesen ersten drei Kapiteln sehr viel über Kindheit in der damaligen Zeit erfahren. Schließlich wurde Beethoven schon im Alter von 13 Jahren in die Hofkapelle aufgenommen, also zu einem Zeitpunkt, wo man heute noch zur Schule gehen muss.
Die zweiten drei Kapitel des Buchkerns beschäftigen sich mit Beethovens musikalischem Wirken. Da geht es zunächst um Beethovens musikalische Ausbildung, und ich finde es sehr schön, dass Stephan Eisel hier einen breiten Begriff des Lehrers anwendet. So beschäftigt er sich in diesem Kapitel nicht nur mit Lehrern wie Christian Gottlob Neefe, bei denen der junge Beethoven Einzelunterricht genoss, sondern etwa auch mit Hofkapellmeister Andrea Luchesi, von dem Beethoven als jugendliches Mitglied der Hofkapelle selbstverständlich auch lernte. Im Folgenden geht es um den Bonner Musiker und den Bonner Komponisten.
In diesem Kapitel ist eine umfangreiche Übersicht über Beethovens Kompositionen enthalten, die er entweder in Bonn komponierte oder in Bonn begann und in Wien zu Ende schrieb. Darunter findet sich auch die Sonatine WoO 50, die wir im Anschluss von Herrn Gladkov hören werden.
Umrahmt werden diese sechs Kapitel von zwei Rahmenkapiteln: „Beethovens Bonn“ und „Bonns Beethoven“. „Beethovens Bonn“ ist eines meiner Lieblingskapitel – Stephan Eisel entwirft hier ein ausgesprochen lebendiges Bild unserer Stadt im späten 18. Jahrhundert. Ich darf kurz daraus zitieren:
„Das Bonn, in dem die Beethovens lebten, war eine kleine Stadt, in der praktisch jeder jeden kannte. Zugleich war diese Stadt bei aller Überschaubarkeit aber auch ein politisches, geistiges und kulturelles Zentrum, denn schon im Mittelalter war es Residenzstadt der Kölner Erzbischöfe geworden […]
Die Ausdehnung des Bonner Wohngebietes zu Beethovens Zeit lag innerhalb der Festungsanlagen und entsprach in etwa der heutigen Fußgängerzone in der Innenstadt. Alles war problemlos fußläufig erreichbar. Nord-, West- und Südstadt existierten noch nicht, heutige Ortsteile in diesen Stadtvierteln waren selbstständige Dörfer vor den Toren Bonns. Der Stadtplan von 1773 – also um die Zeit von Beethovens Geburt – vergab 1.004 Hausnummern. Nebengebäude wurden nicht eigens gezählt. Dazu kamen das kurfürstliche Schloss mit den dazugehörigen Bauten, etwa 30 Gebäude in städtischem Besitz und neun Klöster bzw. Stifte.“
Wenn ich durch die Straßen gehe, fällt es mir mit einer solchen Grundlage relativ leicht, mir das damalige Bonn vorzustellen. Das wird natürlich nie hundertprozentig korrekt sein, aber es macht Bonn als Beethoven-Stadt lebendig.
Dem ganzen hat Stephan Eisel das Kapitel „Über Beethoven in Bonn schreiben“ vorangestellt. Sein Ziel ist es, „ad fontes“, also „zurück zu den zeitgenössischen Quellen“ zu gehen. Das bedeutet, dass Stephan Eisel versucht hat, alles, was an Quellen zu Beethovens Bonner Zeit gedruckt vorliegt, zu berücksichtigen. Eigenständige Archivrecherchen hat er nicht vorgenommen, aber das, was zusammengekommen ist, finde ich schon ausgesprochen beeindruckend und vielfältig.
In dem Kapitel über das damalige Bonn hat Stephan Eisel etwa zahlreiche Reiseberichte verwendet, darunter eine plastische Beschreibung des Schriftstellers Ernst Moritz Arndt, des späteren Bonner Professors – und bedauerlicherweise auch einer der einflussreichen Vordenker des deutschen Nationalismus. Ich zitiere:
„Dieses Städtchen liegt sehr anmuthig am Rhein, zu welchem es ziemlich steil von einem Hügel hinabsteigt, welches seinen Gassen eben keinen angenehmen Abhang, noch den Häusern die gehörige Reihung an einander giebt. Außer einigen Plätzen und den um- und anstehenden Häusern sind seine Gassen eng und spitzsteinig und schief, doch die Häuser größtentheils ganz nett und zierlich von außen anzusehen. … Aber das Innere von Bonn ist nichts gegen das Aeußere, das es zu einem der lustigsten Landstädtchen macht, die man vielleicht weit und breit finden mag.“
Und dann folgt ein langer Abschnitt darüber, wie Bonn vom Rhein aus zu sehen ist.
Im Abschnitt über Ludwig van Beethovens Kindheit wertet Stephan Eisel zahlreiche Berichte von Jugendfreunden und -bekannten Beethovens aus. Dabei geht er weit über die sprechenden Erinnerungen des Bäckermeisters Fischer und seiner Schwester Cäcilie heraus, bei deren Eltern die Familie Beethoven lange Zeit wohnte.
Wir haben versucht, diesem Konzept auch in der Buchgestaltung Rechnung zu tragen. Längere Zitate aus Dokumenten werden typografisch und farblich abgesetzt. Sie erscheinen in dunkelrot, so dass man den Unterschied zu Stephan Eisels Haupttext auf einen Blick wahrnimmt. Außerdem wirkt die Type „alt“ gegenüber der moderneren Schrifttype des Haupttextes. Hier vielen Dank an André Maßen, der den Band gestaltet hat.
Zahlreiche Abbildungen lassen das Ganze schließlich noch plastischer werden.