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Stephan Eisel
Jugendliche wollen keine Absenkung des Wahlalters
Auch erstmaliges Wählen ab 16 in Thüringen ohne Resonanz
In Thüringen waren am 5. Juni 2016 Minderjährige erstmals bei Kommunalwahlen wahlberechtigt.[1] Das Wahlrecht ab 16 wurde im Jahr zuvor in diesem Bundesland auch mit der Begründung eingeführt, so lasse sich die Wahlbeteiligung steigern. Jugendliche seien an der Teilnahme an Wahlen besonders interessiert. Tatsächlich aber ist bei den thüringischen Bürgermeisterwahlen die Wahlbeteiligung 2016 um fast 13 Prozent von 65,2 Prozent auf 52,4 Prozent gegenüber den letzten Kommunalwahlen 2014 gesunken als 16-jährige noch nicht wahlberechtigt waren. Das bestätigt einen durchgängigen Trend: Minderjährige nehmen nach allen vorliegenden Studien nicht häufiger, sondern seltener an Wahlen teil als Erwachsene.
Dennoch wird seit einigen Jahren mit großer Vehemenz die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre und damit die Abkoppelung des Wahlrechts von der Volljährigkeit gefordert – obwohl die Betroffenen bei allen bisher vorliegenden Umfragen eine Absenkung des Wahlalters mehrheitlich ablehnen.
Lediglich die Bertelsmann-Stiftung behauptet in einer 2015 vorgelegten Studie „Wählen mit 16“ „etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) der 16- und17-jährigen befürworten das Wählen ab 16“. Im Kleingedruckten findet sich dazu eher versteckt findet der Hinweis, dass überhaupt nur 21 Jugendliche dieser Altersgruppe befragt wurden, von denen sich 11 für eine Absenkung des Wahlalters aussprachen. Auf einer solchen Befragungsgrundlage den Eindruck eines repräsentativen Meinungsbildes zu erwecken, ist schlicht irreführend.[2]
In tatsächlich repräsentativen Befragungen ist die Ablehnung der Absenkung des Wahlalters bei den betroffenen Jugendlichen seit den ersten derartigen Untersuchungen vor zehn Jahren durchgängig:
Dieses eindeutige Meinungsbild zeigt im Blick auf das Wahlrecht für Minderjährige einen deutlichen Unterschied zwischen der Selbsteinschätzung von Jugendlichen und dem Versuch einer politischen Zwangsbeglückung durch Erwachsene. Erwachsene sind aber gut beraten, wenn sie Fragen, die Jugendliche betreffen, nicht über deren Köpfe hinweg entscheiden, sondern ernst nehmen, was die Betroffenen selbst sagen: Von einer Abkoppelung des Wahlrechts von der Volljährigkeit halten Minderjährige jedenfalls in ihrer großen Mehrheit nichts.
[1] Grundsätzlich zum Thema siehe Stephan Eisel, Wählen mit 16 ? – Wahlalter und Volljährigkeit, St. Augustin / Berlin 2013
[2] Robert Vehrkamp / Niklas Im Winkel / Laura Konzelmann, Wählen mit 16, Bertelsmann-Stiftung Bielefeld 2015 (S. 13 und S. 78).
[3] Jens Teschner / Philipp Scherer, Jugend, Politik und Medien – Politische Orientierungen und Verhaltensweisen von Jugendlichen in Rheinland-Pfalz, Wien/Berlin 2012, S. 176/177
[4] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/177098/umfrage/ansicht-zur-wahlberechtigung-fuer-bundestagswahlen-ab-16-jahren/ (vgl. Klaus Hurrelmann, Mathias Albert: Jugend 2006. 15. Shell Jugendstudie: Eine pragmatische Generation unter Druck, Frankfurt a. M. 2006).
[5] http://gj-ostalb.de.tl/Umfrage-zum-Wahlrecht-ab-16.htm (im Internet inzwischen gelöscht, liegt dem Autor vor).
[6] Berliner Zeitung, 26. Juni 2010
[7] Ulrike Zehrt/Mario Feist, Interesse und Beteiligung am politischen Leben, in: Dietmar Sturzbecher / Andrea Kleeberg-Niepage /Lars Hoffmann (Hrsg.), Aufschwung Ost ? – Lebenssituationen und Wertorientierungen ostdeutscher Jugendlicher, Wiesbaden 2012, S. 121.
[8] Vgl. „die tageszeitung”, 12. Februar 2013, und Bergedorfer Zeitung Online, 8. Februar 2013.
[9] Vgl. Bericht bei Hamburg 1 TV http://www.clipfish.de/special/hamburg-1/video/3922063/hamburg-schueler-diskutieren-ueber-wahlrecht-mit-16/
[10] Bergedorfer Zeitung, 8. Februar 2013.
[11] http://www.dkhw.de/cms/images/downloads/Ergebnisse__politisches_Engagement_von_Jugendlichen.pdf
[12] Klaus-Peter Schöppner, Mentefactum: Wahlrecht für 16-Jährige ? – Das Meinungsbild in Mecklenburg-Vorpommern, März 2014