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Stephan Eisel
Entscheidungsflucht
bei Neubau oder Sanierung der Oper
40 zufällig ausgewählte Bürger sollen die Aufgabe des gewählten Rates übernehmen
Am 25. Mai 2014 haben 136.146 Bonnerinnen und Bonner 86 Mitbürger in den Stadtrat gewählt, um dort Entscheidungen für das Leben in Bonn zu treffen. Im Kleinteiligen funktioniert das in beeindruckender Weise. In rührender Detailverliebtheit behandeln 27 Stadtverordnete der CDU, 20 der SPD, 16 der Grünen, 7 der FDP, 5 der Linken, 4 des Bonner Bürger Bunds, 3 der Alternative für Bonn und vier Fraktionslose, was eigentlich laufendes Geschäft der Verwaltung sein sollte: Die Ratssitzung im Dezember hat über 100 Tagesordnungspunkte von der „Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Durchführung der Brandverhütungsschau in der Bundesstadt Bonn“ bis zu den „Eckpunkten für ein Interessenbekundungsverfahren für eine Nachfolgenutzung der Räume für Gastronomie im Freibad Rüngsdorf“.
Wo es um Zukunftsentscheidungen grundsätzlicher Art geht, tut sich der Rat allerdings schwer. Hier dominieren Entscheidungsverweigerung durch Vertagung, Entscheidungsflucht durch das Abtauchen hinter vermeintliche Bürgerbeteiligung bis zur Entscheidungsblockade durch die Eitelkeit des Parteienstreits und persönlicher Empfindlichkeiten.
An der Entscheidungsverweigerung durch Vertagung ist das im Bau vollständig privat finanzierte und im Betrieb wesentlich vom Bund getragene Beethoven-Festspielhaus gescheitert. Das war die schwerste Fehlentscheidung in der jüngeren Stadtgeschichte. Stattdessen wird nun für über 100 Mio. Euro aus der Stadtkasse eine marode Stadthalle „denkmalgerecht“, d. h. im Stil der 50erJahre saniert, ohne dass die Akustik verbessert wird. Prominente Beispiele für Entscheidungsblockade sind der Stillstand beim Viktoria-Karree und die ungelösten Bonner Verkehrsprobleme.
Entscheidungsflucht bereitet der Rat nun gerade in einer anderen für die Zukunft wichtigen Frage vor: Soll das alte Opernhaus – mit ähnlichen Risiken wie bei der Beethovenhalle – saniert oder der Zukunftswurf eines Neubaus gewagt werden soll. Hier drückt sich der Rat aber vor dem, wofür er gewählt wurde. Für sage und schreibe 200.000 Euro wird stattdessen ein angebliches Bürgerbeteiligungsverfahren gestartet werden, das in Wahrheit etwa 40 zufällig (!) ausgewählte Bürger die Arbeit machen lässt, für die 86 Bürger ausdrücklich gewählt wurde.
In der Beschlussvorlage der Verwaltung für den Rat (Drs. 1812983) liest sich das so: „Für das konkrete Beteiligungsverfahren schlägt die Verwaltung ein mehrstufiges Konzept mit sogenannter Orientierungs-, Verdichtungs- und Entscheidungsphase vor. Hierbei werden durch vielfältige Methoden die Vorschläge/Eingaben/Hinweise der Bürgerinnen und Bürger im Laufe des Verfahrens auch unter Einbeziehung weiterer Akteurs- und Zielgruppen immer weiter verdichtet und in der Abschlussphase von parallelen Planungszellen bearbeitet. Eine Planungszelle ist eine auf Zufallsauswahl beruhende Gruppe aus der Bürgerschaft, die an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen in wechselnden Gruppenzusammensetzungen arbeitet. Sie widmet sich konstruktiv den verschiedenen Sichtweisen und Themen zu den Szenarien Instandsetzung/Neubau Theater Bonn und wird dabei von Impulsgeberinnen und Impulsgebern ausgewogen informiert. Am Ende steht ein so genanntes "Bürgergutachten", das die Empfehlungen aus der Bürgerschaft zusammenfasst und eine Entscheidungsgrundlage für die Politik darstellt. Für die Durchführung dieses mehrstufigen, komplexen Bürgerbeteiligungsverfahrens muss ein externes Büro beauftragt werden. Die Verwaltung schätzt, dass hierfür eine Auftragssumme von rd. 200.000 € benötigt wird. Diese Mittel sind bislang nicht veranschlagt ....“
Das beschriebene Verfahren sollte eigentlich die übliche Arbeitsweise des Rates sein. Wer ist den besser als die von den Bürgern gewählten Ratsvertreter geeignet und legitimiert, „durch vielfältige Methoden die Vorschläge/Eingaben/Hinweise der Bürgerinnen und Bürger“ aufzunehmen? Wofür gibt es eigentlich die Fachausschüsse des Rates, wenn nicht dafür, die thematische Aufgabenstellung „unter Einbeziehung weiterer Akteurs- und Zielgruppen immer weiter zu verdichten“? Und ist eine „auf Zufallsauswahl beruhende Gruppe aus der Bürgerschaft“ besser als der Rat geeignet, sich “konstruktiv den verschiedenen Sichtweisen und Themen zu den Szenarien Instandsetzung/Neubau Theater Bonn„ zu widmen?
Wenn ein politisches Gremium das, wofür es gewählt ist, für teures Geld der Zufallsmethodik von Beratungsagenturen überträgt, kastriert es sich selbst – und wird sich am Ende doch nicht vor einer eigenen Entscheidung drücken können. Beim Thema Neubau oder Sanierung der Oper liegen im übrigen die Entscheidungsalternativen auf dem Tisch:
Die Verwaltung möchte, dass man sich nur mit den Szenarien 2 und 4 intensiver befasst. Warum ausgerechnet die Variante „Beethoven-Campus“ ausgeschlossen werden soll, ist schwer verständlich. Auftauchende Denkmalschutzfragen ließen sich nämlich durch Ratsbeschluss lösen. Es geht nicht um den Kölner Dom, sondern eine Fläche (Außenanlage der Beethovenhalle), die erst vor kurzem vom Rat auf die Denkmalliste der Stadt aufgenommen wurde. Solche Ratsbeschlüsse lassen sich korrigieren.
Das vorgeschlagene Verfahren soll erst im November 2019 mit einem angeblichen „Bürgergutachten“ (schon der Titel ist ebenso anmaßend wie irreführend) abgeschlossen sein. Angesichts der Tatsache, dass 2020 ein Kommunalwahljahr ist, kann sich jeder ausrechnen, wann dann mit einer Entscheidung zu rechnen ist.
In der Sache bietet ein Neubau nicht nur höhere finanzielle Verlässlichkeit als eine Altbausanierung, sondern auch deutlich günstigere Betriebskosten. Vor allem aber eröffnet sich die Chance eines neuen Bürgerzentrums für Kultur mit Oper und Konzertsaal, für Schauspiel und Jazz sowie als Forum für viele weitere kulturelle Angebote insbesondere auch für junge Leute. Zuletzt wurde für 150 Mio Euro 2014 in Florenz mit einem ähnlichen Konzept ein kombiniertes Konzert- und Opernhaus eröffnet. Es hat für Oper und Konzerte aller Art einen großen Saal (1.800 Plätze) und für Schauspiel, Kammermusik und andere Formate einen kleinen Saal (1000 Plätze) und bietet noch eine Freiluftbühne mit 2000 Plätzen.
Für Bonn in die Zukunft führen will, braucht den Mut zu solchen Entscheidungen und darf sie nicht vor sich herschieben oder vor ihnen davon laufen. Wir haben den Rat als Entscheidungsgremium gewählt und nicht zur Entscheidungsverweigerung.