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Stephan Eisel
Putins Aggression und die Europawahl
Was der russische Autokrat Wladimir Putin mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der systematischen Destabilisierung der Ukraine vom Zaun gebrochen hat, hat zwar vielen die Augen über den "lupenreinen Demokraten" (so Gerhard Schröder 2004 noch als Bundeskanzler) geöffnet, löst aber zugleich ein Gefühl verzweifelt-wütender Hilflosigkeit aus. Wie soll die Gemeinschaft freiheitlicher Demokratien einer solch skrupellos neokolonialen und offen imperialistischen Politik entgegen treten, die ohne Hemmungen auf Gewalt setzt ?
Die von Rußland ausgelöste Krise hat zugleich die europäische Einigung als Friedensprojekt wieder in den Fokus gerückt. Die Europäische Union ist nicht nur eine, sondern die Antwort auf die Frage, wie politische Strukturen aussehen müssen, die militärische Konflikte im Grundsatz ausschließt. Dieses Europa-Projekt war seit der Initialzündung durch den Schuman-Plan 1950 und der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (1952) als Friedensprojekt so erfolgreich, dass es von vielen für zu selbstverständlich gehalten wird.
Mit Polen, Rumänien, der Slowakei und Ungarn gehören vier der sieben Nachbarländer der Ukraine der EU und der NATO an. Zwischen Berlin, München oder Dresden und den von Putin-orientierten Separatisten liegen weniger als 2000 km. Es geht hier um militärische Konflikte, die uns als freiheitliche Demokratien schon durch die geographische Nähe direkt betreffen. Dies rückt die oft diskutierten internen Probleme in der Europäischen Union in eine neue Dimension und den Kern des Europaprojektes in den Mittelpunkt.
Es ist kein Zufall, dass die heftigsten Kritiker der Europäischen Union auf der äußersten rechten Seite (einschließlich der AfD) und der äußersten linken Seite (einschließlich der Linken) zugleich die engagiertesten „Putin-Versteher“ sind: Gemeinsam lehnen sie Sanktionen gegen Putins Aggressionspolitik ab und zeigen Verständnis für Putins angebliche „Einkreisungsängste“, weil sich EU und und NATO „nach Osten“ ausgedehnt hätten.
Konsequent wird dabei verschwiegen, dass alle mittel- und osteuropäischen Länder die Mitgliedschaft in EU und NATO sofort anstrebten, als ihnen demokratische Wahlen die Möglichkeit zur freien Entscheidung gaben. Hätte man ihnen dies verweigern sollen?
Dass die NATO nach ihrer Ost-Erweiterung bewusst und freiwillig davon abgesehen hat, permanent Truppen und Gerät in Ländern des früheren Warschauer Pakts zu stationieren, war ein klares Zeichen nach Moskau wie abwegig der Vorwurf angeblicher Bedrohungsszenarien durch die NATO ist. Zugleich öffnete sich die NATO gegenüber Rußland.
Bereits seit 1991 arbeiteten die NATO und Russland bereits in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zusammen. 1994 wurde Russland Mitglied im NATO-Programm "Partnerschaft für den Frieden". Im Mai 1997 wurde die "Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation" unterzeichnet. Als Konsultationsforum wurde der "Ständige Gemeinsame NATO-Russland-Rat" geschaffen. Es hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun, wenn Putin den Eindruck einer Bedrohung Russlands durch die NATO erweckt und manche bei uns das einfach nachbeten.
Umgekehrt hat Putin das Konzept friedlicher Nachbarschaft offenbar ad acta gelegt. Wer hätte nicht Verständnis dafür, dass angesichts dessen beispielsweise die drei baltischen Staaten jetzt darauf dringen, dass in Reaktion auf das Aggressionspolitik Putins NATO-Truppen auch in ihren Ländern stationiert werden: Gerade erst hat Putin ein Abkommen mit Litauen über vertrauensbildende Maßnahmen gekündigt, die militärische Präsens im benachbarten Kaliningrad erhöht und Übungen mit Kampfhubschraubern an der Grenze zu Lettland verstärkt.
All dies blenden rechte und linke die "Putin-Versteher" auf beschämende Weise aus: Man übertrifft sich in Rechtfertigungen für Putins Politik offener militärischer Gewalt, die Assoziationen mit der Appeasement-Politik ("Beschwichtigungspolitik") des britischen Premierministers Chamberlain 1938 gegenüber Hitler leider geradezu aufdrängen. Geschmackloser Höhepunkt war hier die fotowirksame freundschaftliche Schröder-Putin-Umarmung genau zu dem Zeitpunkt als Putin militärische Gewalt gegen und in der Ukraine offen förderte.
Ganz offenkundig fürchtet Putin die dort für den 25. Mai anberaumten ukrainischen Wahlen und will ihnen die Legitimationsgrundlage nehmen: Immer noch sind russische Streitkräfte (35-40.000 Soldaten) entlang der ukrainischen Grenze konzentriert und in Alarmbereitschaft versetzt und sein demonstrativer Besuch einer russischen Militärparade auf der krim ist alles andere als ein Signal des Deeskalation.
Man wird sehen, ob Putin die die „Ergebnisse“ der mit Maschinengewehren erzwungenen „Referenden“ in einigen Gebieten der Süd- und Ostukraine ebenso anerkennt wie auf der Krim oder sein Aufruf zu deren Verschiebung mehr als ein Wortgeplänkel war. Dass er die Freilassung der OSZE-Beobachter herbeiführen konnte (eigentlich eine Selbstverständlichkeit, denn immerhin ist Russland Mitglied der OSZE) belegt seinen Einfluss auf die von Moskau ermutigten und von Rußland abhängigen (para)militärischen Truppen in der Süd- und Ostukraine.
Zu Recht haben Deutschland und Frankreich in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 10. Mai unterstrichen „dass bei einem Scheitern der Präsidentschaftswahlen die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen sind, die der Europäische Rat am 6. März mit seinem dreistufigen Sanktionsverfahren vorgesehen hat.“ Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Norbert Röttgen, sagte dazu: „Putin hat als Aggressor die Handlungsdominanz. Wir müssen aufpassen, dass wir mit unseren Reaktionen nicht zu sehr hinterherhinken.“
Dass sowohl die Wahlen in der Ukraine und wie auch die zum Europarlament am 25. Mai stattfinden, ist ein Zufall – und offenbart zugleich, worum es wirklich geht:
Freie Wahlen sind keine Selbstverständlichkeit und schon deshalb sollte auch für uns in der EU die Teilnahme eine demokratische Pflicht sein. Zugleich verdient (und braucht) die Europäische Union gerade angesichts Putin´schen Aggressionspolitik in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft Unterstützung und eine klare Absage an diejenigen, die sie madig machen wollen.