Den folgenden Text können Sie hier ausdrucken.
Die europapolitsche Rede (26.9.2017 ) des französischen Präsidenten Emmanuel Macron finden Sie hier.
Den FAZ-Beitrag "Schluss mit der Zögerlichkeit" (6.12.2017) von Armin Laschet finden Sie hier.
Stephan Eisel
Deutschland braucht mehr Europa
Nach der Selbstfindung der Europäer geht es um die Selbstbehauptung Europas
Uns Europäern muss im Zeitalter der Globalisierung klarer werden, dass wir nur ein kleiner Teil dieser Welt sind. Heute leben nur etwa 7,5 Prozent der Weltbevölkerung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. 2050 werden wegen des unterschiedlichen Bevölkerungswachstums nur rund 4 Prozent der Menschheit Europäer sein. Wir haben als kleine Minderheit in der Weltgesellschaft nur dann eine Chance, unsere Werte, unsere politische Kultur, unsere Lebensweise und unseren Wohlstand zu bewahren, wenn wir noch mehr zusammenrücken und noch enger zusammenarbeiten.
Das Zeitalter scheinbar voneinander unabhängiger Nationalstaaten ist längst vorbei. Das haben wir in der Außen- und Sicherheitspolitik begriffen und beginnen es in der Wirtschafts- und Finanzpolitik besser zu verstehen. Für nationale Alleingänge ist die Welt auch wirtschaftlich längst zu sehr zusammengewachsen und Deutschland darin zu klein – gerade weil wir so exportabhängig sind. Zur Zeit führt uns „America-First“-Populismus von US-Präsident Trump drastisch vor Augen, wie stark wir als europäer gefordert sind.
Die Motivation der Gründergeneration „Nie wieder Krieg! Nie wieder Diktatur!“ hat nach 1945 zur Gründung der Europäischen Union geführt und begründet ihren Erfolg. Das bleibt wichtig, reicht aber nicht mehr aus. Nach der Selbstfindung der Europäer durch die Verankerung von Frieden und Freiheit auf dem eigenen Kontinent ist die Selbstbehauptung Europas in der zusammenwachsenden Welt die neue Notwendigkeit und zusätzliche Legitimation der europäischen Einigungsbewegung.
Zu selten wird dabei darüber gesprochen, wie das geeinte Europa der Zukunft aussehen soll. Aber Unklarheit schafft auch hier nur Unsicherheit. Wer das Ziel nicht beschreibt, wird den Weg dorthin nicht finden.
Die „Vereinigten Staaten von Europa“ hat der große Schriftsteller Victor Hugo in seiner Eröffnungsrede für den Pariser Friedenskongress 1849 ebenso gefordert wie Winston Churchill in seiner berühmten Züricher Rede 1946. Man kann auch wie die CDU in ihrem ersten Grundsatzprogramm 1978 vom „europäischen Bundesstaat“ sprechen. Es geht um ein föderalistisches Gegenmodell zu einem europäischen Zentralstaat, um ein Europa nach „bundesstaatlichen Prinzipien und Methoden“ wie es im aktuellen Grundsatzprogramm der CDU aus dem Jahr 2007 heißt. Dort wird auch zu Recht formuliert: „An dem langfristigen Ziel, eine Verfassung für die Europäische Union zu schaffen, halten wir fest.“
Dazu ist es notwendig, die Demokratiereform für die europäischen Institutionen voranzutreiben. Schon für den status quo der Integration reichen die gegenwärtigen Verfahren nicht aus, für die Einigungsnotwendigkeiten der Zukunft umso weniger. Es geht um mehr Handlungsfähigkeit und bessere demokratische Kontrolle. Dabei muss das von den Bürgern frei gewählte Europäische Parlament weiter gestärkt werden. Immer noch haben die nationalen Regierungen als versammelte Exekutivmacht in den europäischen Räten zu viel (unkontrolliertes) Eigenleben. Gemeinsame europäische Anliegen sind mehr als die Addition nationaler Interessen.
Hier bietet Lissabonner Vertrag als aktuelles Fundament der europäischen Politik mit dem Subsidiaritätsprinzip ein unverzichtbares Instrument. Dieses Subsidiaritätsprinzip hat zwei Seiten: Einerseits die Dezentralisierung; andererseits die Stärkung der Ebene, der eine Aufgabe zur Erledigung zugewiesen wird. So verlagert der Lissabonner Vertrag Aufgaben von Brüssel in die Mitgliedstaaten und Regionen. Zugleich stärkt er die europäische Ebene, wo es für die Selbstbehauptung Europas wichtig ist: Vor allem bei der inneren und äußeren Sicherheit. Jetzt kommt es darauf an, auch bessere Regeln zur Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu vereinbaren. Der Lissabonner Vertrag muss schon deshalb weiterentwickelt werden, der vor der Finanzkrise im Dezember 2007 unterzeichnet worden ist.
Der französische Präsident Macron hat zur Fortentwicklung der europäischen Integration im September 2017 wichtige Vorschläge gemacht: So solle man künftig die Hälfte der EU-Abgeordneten über länderübergreifende Listen wählen, um so die europäische Gemeinsamkeit ins Bewusstsein zu heben. In der Sicherheitspolitik schlägt Macron ein europäisches Verteidigungsbudget, eine gemeinsame Verteidigungsstrategie und eine gemeinsame Eingreiftruppe mit dem Ziel einer europäischen Armee vor. Auf dem Weg dahin sollen die nationalen Armeen der Mitgliedstaaten freiwillig Soldaten aus allen anderen europäischen Ländern aufnehmen. Macron will die Einrichtung der schon länger beschlossenen europäischen Staatsanwaltschaft vorantreiben, fordert eine Geheimdienstakademie für die EU, eine gemeinsamen Katastrophenschutz, eine europäische Asylbehörde, die Harmonisierung der Einwanderungsgesetze und eine europäische Grenzpolizei. Er brachte ein eigenes Budget für die Euro-Zone ins Gespräch, den erneuten Versuch für eine Finanztransaktionssteuer, die Angleichung der Unternehmenssteuern und einen europäischen Finanzminister. Nationale Alleingänge sollen bei der Verteilung der EU-Strukturmittel nicht folgenlos blieben: “Man kann nicht von der europäischen Solidarität profitieren und gegen die anderen spielen."
Im Dezember 2017 legte Jean-Claude Juncker für die EU-Kommission weitere Reformvorschläge vor: Danach soll Euro-Rettungsschirm in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umgewandelt werden, der ins EU-Regelwerk eingebunden und damit auch Kommission und EU-Parlament unterstellt wäre. Ein EU-Finanzminister mit Rechenschaftspflicht gegenüber dem EU-Parlament solle zugleich die Euro-Gruppe leitet und der EU-Kommission angehören.
Die deutschen Reaktionen auf diese Vorschläge bestehen bisher in Abwehr und Bedenken. Ausnahmen sind der FAZ-Beitrag „Schluß mit der Zögerlichkeit“ des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) am 6. Dezember und die Parteitagsrede des SPD-Vorsitzenden Martin Schulz (SPD) einen Tag später. Es ist kein Zufall, dass beide früher Europaabgeordnete waren.
Laschet formuliert sechs Dimension europäischer Souveränität, in denen es um mehr Europa geht: Verteidigungspolitik, Terrorismusabwehr und Sicherung der Außengrenze, Entwicklungspolitik, Energie- und Klimapolitik, Digitalisierung und Wirtschafts- und Finanzpolitik. Er unterstützt weitgehend die Vorschläge von Macron: „ Aber die Stimmung ist doch euroskeptisch, sagen die Zögerlichen. Meine Antwort: Dann müssen wir die Stimmung eben drehen – durch mutige Schritte im Interesse der Jugend Europas. Und wenn nicht alle 27 mitgehen wollen, wenn Einstimmigkeit uns lähmt, dann müssen Deutschland und Frankreich vorangehen in einem Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten, wie es Wolfgang Schäuble und Karl Lamers schon 1994 forderten.“
Martin Schulz fordert in seiner Rede beim SPD-Parteitag am 7.Dezember 2017 die Verwirklichung der „Vereinigten Staaten von Europa“ und einen europäischen Verfassungsvertrag bis 2025: „Das bedeutet konkret, dass wir Europa mindestens in den Bereichen Innere und Äußere Sicherheit, beim Klimaschutz, bei der Steuer - und Geldpolitik, beim Kampf gegen Steueroasen, bei der Flüchtlingspolitik und bei der Entwicklungszusammenarbeit die Instrumente geben müssen, die Europa braucht, um handlungsfähig zu sein.“ Konkreter wurde er leider nicht.
Es ist überfällig, dass die Debatte um die europäische Tagungsordnung der Zukunft an Schwung gewinnt. Deutschland sollte dabei nicht im Bremserhäuschen sitzen, sondern die Initiative ergreifen, denn _ wie Helmut Kohl nicht müde wurde, zu unterstreichen- : „Europa ist unsere Zukunft.“