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Stephan Eisel
Wo bleibt der Wahlkampf ?
Das Wahl-Roulette-Risiko der Union
Für mich ist es eine Premiere: Zum ersten mal seit 30 Jahren bin ich nicht unmittelbar in einen Bundestagswahlkampf involviert: 1983, 1987 und 1990 erlebte ich als Mitarbeiter von Helmut Kohl, 1990 und 1994 trug ich Verantwortung als CDU-Kreisvorsitzender und 2002, 2005 sowie 2009 bin ich als Direktkandidat in Bonn angetreten – zuletzt 2009 als Mitglied des Deutschen Bundestages.
Wer nicht im Zentrum des Geschehens ist, erlebt den Wahlkampf mit anderen Augen: Näher an der Sichtweise des „normalen“ Bürgers. Und da fällt vor allem auf, dass drei Wochen vor dem Wahltag keine Wahlkampfstimmung zu spüren ist. Sicherlich: Die ersten Plakate sind zu sehen und in den Medien spielen sich üblichen Rollenspiele ab. Aber die Menschen diskutieren nicht, außerhalb der Medien gibt es kein wirklich bewegendes politisches Thema und es liegt keine Spannung in der Luft. Glaubt man den Umfragen, müsste die Wahl garnicht mehr stattfinden ...
Die Zahlen
Umfragen geben vor Wahlen zwar interessante Hinweise, aber sie können auch in die Irre führen – vor allem, wenn das letzte Wahlergebnis als entscheidender Bezugspunkt in Vergessenheit gerät. 2009 hatte Schwarzgelb zusammen 48,4 Prozent der Stimmen erreicht, Rotgrün kam mit der Linkspartei bei 45,6 Prozent. Jetzt steht Schwarzgelb nach den Umfragen zwischen 44 und 48 Prozent und Rotgrün mit der Linkspartei bei 42 – 49 Prozent. Man kann also nicht sagen, dass sich das Regierungslager einen Vorsprung herausgearbeitet hätte.
Die Dramatik der Lage wird angesichts der Umfragewerte der FDP von 4-6 Prozent deutlich. Schafft sie die 5-Prozent-Hürde nicht, ist diese Regierung in jedem Fall gescheitert. Aber auch wenn die FDP wie schon häufig das eigene Überleben zum Wahlkampfthema macht, wird das eher die Union schwächen als dem Regierungslager neue Wähler zuzuführen.
Die SPD hatte 2009 mit 23 Prozent ein katastrophales Ergebnis und scheint mit einem leichten Zuwachs rechnen zu können. Sie bleibt aber klar nicht nur hinter den eigenen Erwartungen zurück. Dagegen liegen die Grünen um bis zur vier Prozent über ihrem letzten Wahlergebnis. Die Umfragen signalisieren deshalb für Rotgrün insgesamt einen Zuwachs von bis zu 7 Prozent. Das ist mehr als eine Kompensation für die prognostizierten Verluste der Linkspartei.
Die Strategie der Union
Überraschende strategische Wendungen sind von den Parteien so kurz vor der Wahl nicht mehr zu erwarten:
Die Union setzt ganz auf Angela Merkel und hat sich ansonsten eher für einen themenlosen Wahlkampf entschieden. Die Solidität der Krisenbewältigung rangiert klar vor der Beschreibung des eigenen politischen Gestaltungswillens. „Auf den Kanzler“ kommt es an: damit haben CDU und CSU schon Wahlen gewonnen – und verloren.
Außerdem hat die Führung der Union innerhalb nur einer Legislaturperiode u. a. mit der Aussetzung der Wehrpflicht, in der Familienpolitik, beim Mindestlohn oder mit dem Ausstieg aus der Kernenergie nicht nur wesentliche Konfliktpunkte mit Rotgrün abgeräumt, sondern auch Kernpunkte eigener Identität aufgeben – meist ohne die eigene Basis in die Entscheidungsfindung einzubinden. Es handelte sich um von oben verordnete, in den Führungsgremien entschiedene und nicht von unten gewachsene Richtungswechsel. Zwar gibt es gute sachliche Gründe für jeden dieser Schritte (und auch dagegen), aber in ihrer Häufung führen sie zu massiver Verunsicherung in eigenen Stammwählerschaft.
„Wofür stehen die CDU und CSU ?“ ist die gefährlichste Frage für Union in der heißen Wahlkampfphase (und übrigens auch bei einer anschließenden Regierungsbildung). Die eigene Stammwählerschaft ist verunsichert. Außerdem hat die die in der Unionsspitze populäre (da 2009 erfolgreiche) Wahlkampfstrategie der „asymmetrischen Demobilisierung“mit ihrer Konfliktvermeidung, um potentiellen Wähler des politischen Gegners nicht zu mobilisieren, das Risiko, auch die eigene Stammwählerschaft einzuschläfern.
Das Risiko der Union
Die eigene Anhängerschaft ist aber für jede Partei die wichtigste Streitmacht im Wahlkampf. Heiner Geißler sagte einmal zu Recht: „Mundfunk ist wichtiger als Rundfunk“. Es ist kein Zufall, dass die Union ihre größten Wahlerfolge einfuhr als sie 1957 (Wiederbewaffnung: 50,2 Prozent), 1976 (Freiheit statt Sozialismus: 48,6 Prozent ) und 1983 (Nato-Doppelbeschluss: 48,8 Prozent) ihr eigenes Profil betonte und politischen Konflikten nicht auswich.
Die Versuchung eines personenbezogener Kanzlerwahlkampfes ohne Thema liegt angesichts der großen Anerkennung für Angela Merkel nahe. Sie schafft aber auch ein Vakuum, in dem Stimmungen, unvorhersehbare Ereignisse und eigene Fehler schnell besonders große Wirkung entfalten können. Der themenfreie Wahlkampf verzichtet auf ein verankertes inhaltliches Profil als Bollwerk gegen populistische Stimmungsschwankungen und nähert sich stattdessen dem stimmungsabhängigen politischen Roulette: es kann gutgehen oder auch nicht.
Die Koalition aus CDU, CSU und FDP hat durchaus eine Chance auf den Wahlsieg: Aber weniger wegen der eigenen Stärke, sondern vor allem wegen der Schwäche der SPD. Diese findet kein Thema und hat einen glücklosen Spitzenkandidaten. Gemessen daran müsste der Koalitionsvorsprung aber viel höher ausfallen.
Man muss leider daran erinnern:
2005 sagten alle (!) Umfragen für CDU/CSU noch eine Woche vor der Wahl ein Ergebnis von 41-42 Prozent voraus. Das Wahlergebnis lag dann bei 35,2 Prozent.
2009 lag die Union Ende Juli in den Umfragen bei ca. 38 Prozent und erreichte dann 33,8 Prozent.
Und 2013 …. ???