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Im Bundestag habe ich eine Rede

30. März 2009
zur Europäischen Kulturpolitik gehalten. Europa ist nicht nur ein politischer Interessenverband oder eine Freihandelszone, sondern eine Kultur- und Wertegemeinschaft. Dabei liegt die Kraft Europas in seiner kulturellen Vielfalt.
Im Bundestag habe ich eine Rede

 

 

Die Videoaufzeichnung der Rede finden Sie hier.

 

 

Die Stenographische Mitschrift der Rede finden Sie hier

 

Den zugrunde liegen Antrag von CDU/CSU und SPD finden Sie hier.

 

Rede zur Europäischen Kulturpolitik im Plenum des Deutschen Bundestages am 26. März 2009

Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bitte gestatten Sie mir, dass ich zu Beginn dieser Debatte zunächst an den vor fast genau einem Jahr verstorbenen Kollegen Johann-Henrich Krummacher erinnere. Denn ihm oblag in seiner Tätigkeit im Kulturausschuss seinerzeit die Berichterstattung zu diesem Thema. Er hat die Initiative ergriffen, aus dem Enquete-Bericht „Kultur in Deutschland“ im Rahmen der europäischen Kulturpolitik eine erste Konsequenz zu ziehen. Ich habe diese Berichterstattung übernommen. Ich glaube, wir alle denken mit großer Hochachtung und Respekt an Johann-Henrich Krummacher, der diesen Prozess eingeleitet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Europäische Kulturpolitik steht dafür, dass Europa, dass die Europäische Union nicht einfach eine Freihandelszone ist, auch nicht nur eine politische Interessengemeinschaft, sondern eine Kultur- und Wertegemeinschaft, eine Gemeinschaft, in der die Achtung vor der Würde des Menschen, vor der Freiheit des Einzelnen und vor der Verantwortung für das Gemeinwohl im Mittelpunkt steht. Nur der Bezug auf diese Grundwerte macht die politischen Entscheidungen in sich schlüssig. Das merken wir gerade in diesen Zeiten der Krise. Die europäische Geschichte hat gezeigt, dass diese Grundwerte keineswegs selbstverständlich sind. Gerade die Geschichte des letzten Jahrhunderts mit den totalitären Diktaturen, die diese Grundwerte massiv verletzt haben, hat gezeigt und ruft in Erinnerung, dass wir etwas dafür tun müssen, dass die Achtung vor der Würde des Menschen, der Freiheit des Einzelnen und der Verantwortung für das Gemeinwohl erhalten bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

 Dies ist einer der ersten und wichtigsten Punkte in unserem Antrag. Ich will das in diesem Jahr der Gedenktage und Jubiläen nicht am deutsch-französischen Beispiel, sondern am deutsch-polnischen Beispiel deutlich machen.

 (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Vor 70 Jahren, am 23. August 1939, haben sich zwei totalitäre Regime zusammengeschlossen und den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt geschlossen; dies geschah vor allem auf Kosten des polnischen Volkes. Auch das ist europäische Geschichte. Zwei Generationen später waren es das polnische Volk mit der Gründung von Solidarnosc und der polnische Papst, die die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass wir Deutsche in diesem Jahr 20 Jahre Mauerfall feiern können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch das ist europäische Geschichte. Es zeigt unsere Verpflichtung und gibt uns die Hoffnung, dass wir diese Werte mit dem, was wir im Rahmen der europäischen Kulturpolitik politisch bewegen, stabilisieren und befördern können. Die Kraft Europas und die kulturellen Leistungen Europas haben die Zerrissenheit unseres Kontinents überstanden. Die Kraft Europas ist die kulturelle Vielfalt. Deshalb haben wir unseren Antrag mit „Einheit in Vielfalt“ überschrieben. Wer europäische Kulturpolitik betreibt, kann dabei nicht so verfahren wie bei der Fahrt in einem Heißluftballon – wenn man weit weg ist vom Grund und kein Lüftchen weht –, sondern muss sich dorthin begeben, wo Kultur gemacht wird. Kultur beinhaltet die Freiheit des Einzelnen, seine Entfaltungskraft, die Zivilgesellschaft vor Ort. Die Maßnahmen, die wir in unserem Antrag genannt haben und deren Umsetzung wir von der Bundesregierung fordern, sind ganz überwiegend Maßnahmen, bei denen es um die Stärkung der Vielfalt geht. Europäische Kulturpolitik ist das klassische Beispiel für die Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips. Sie muss von unten nach oben wachsen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir fordern, mehr für den Kulturaustausch zu tun; denn Vielfalt heißt, voneinander zu lernen. Wir wollen Netzwerke fördern; denn durch Netzwerke wird die Vielfalt miteinander in Verbindung gebracht. Wir schlagen vor, die Modalitäten der Beantragung von Kulturprojekten, die auf europäischer Ebene durchgeführt werden, zu vereinfachen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Wir sind der Meinung, dass es einen Überbrückungsfonds geben muss. Er ist auch in finanzieller Hinsicht von Bedeutung, weil bei vielen europäischen Projekten erwartet wird, dass die Antragsteller sie vorfinanzieren. Das ist gerade für kleine Initiativen ein Problem. Wir wollen außerdem, dass die kulturelle Eigenart nationaler Minderheiten – ich denke zum Beispiel an die Sorben – mehr als bisher zur Geltung kommt. Dabei geht es um die Kraft Europas, die Vielfalt unserer Geschichte und die Vielfalt des kulturellen Alltags.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE] – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Vergiss die Friesen nicht!)

 Hinzu kommt der Gesichtspunkt der Einheit. Wie wir wissen – das müssen wir allerdings mehr als bisher realisieren –, leben nur 7,5 Prozent der Weltbevölkerung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. In der Welt sind wir also nur eine kleine Gruppe. In der globalisierten Welt werden wir Europäer allerdings gemeinsam wahrgenommen. Deshalb muss sich die Vielfalt zu einer gemeinsamen Stimme entwickeln. Wir schlagen vor, darüber nachzudenken, eine europäische Kulturstiftung zu gründen. Wir brauchen eine Stimme Europas, auch im medialen Bereich, um in der globalisierten Welt ein Instrument zur Verfügung zu haben, mit dem wir unsere Grundwerte und unsere Überzeugungen in die Welt transportieren und vertreten können.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Außerdem begrüßen wir die Initiative des Europäischen Parlaments, in Brüssel ein Haus der europäischen Geschichte zu errichten,

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Gute Idee!)

um den Menschen deutlich zu machen, welch eine Erfolgsgeschichte die europäische Einigung ist. Allerdings ist es uns hier im Parlament nicht gelungen, durch einen gemeinsamen Antrag aller demokratischen Fraktionen Einheit in Vielfalt zu demonstrieren.

(Beifall der Abg. Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE])

Frau Kollegin, ich sagte: aller demokratischen Fraktionen;

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

das habe ich mit Absicht so formuliert; insofern haben Sie an der falschen Stelle geklatscht.

– Das ist bedauerlich, weil wir damit auch ein Beispiel dafür hätten geben können, dass es möglich ist, sich trotz aller Vielfalt zu einigen. Ich möchte den Kollegen, die an den langwierigen Verhandlungen beteiligt waren, herzlich danken. Ich bedanke mich insbesondere bei Frau Kollegin Eid, die das Ziel der Vielfalt der Positionen und des Respekts vor unterschiedlichen Positionen auch in den Diskussionen über diesen Antrag immer wieder hochgehalten hat. Ich bedanke mich auch beim Kollegen Waitz – er ist heute nicht hier –, für den es einfacher gewesen wäre, einen gemeinsamen Antrag zustande zu bringen, wenn die Kulturpolitiker in seiner eigenen Fraktion etwas mehr Gehör gefunden hätten.

 (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!)

Ich danke auch dem Kollegen Reiche, der in der ihm eigenen Nachdrücklichkeit mehr auf die Koalitionseinheit als auf die -vielfalt Wert gelegt hat.

(Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Allerdings! In seiner unnachahmlichen Art!)

 Wichtig ist, dass wir uns, auch wenn wir heute keinen gemeinsamen Antrag verabschieden, in der Sache einig sind und bei der Konkretisierung dessen, was in unserem Antrag steht, gemeinsam vorgehen. Wir müssen die Vielfalt Europas und die Vielfalt unserer kulturellen Geschichte im Rahmen dieses Antrags umsetzen, um der Freiheit der Menschen, der Achtung voreinander und dem Respekt voreinander im Alltag der Kulturpolitik Geltung zu verschaffen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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