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DIE FDP-FLUCHT AUS DEN VERHANDLUNGEN

20. November 2017
zu einer Jamaika-Koalition hat ein politisches Erdbeben ausgelöst. Wie die SPD stimmt die FDP mit der Weigerung, Regierungsverantwortung zu übernehmen,  die Grundmelodie an, die Partei sei wichtiger als das Land: 
DIE FDP-FLUCHT AUS DEN VERHANDLUNGEN

 

 

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Stephan Eisel

Zum Ausstieg der FDP aus den Jamaika-Sondierungen

„Nichtstun ist Machtmissbrauch!“ 

- der noch vor drei Monaten überall plakatierte Slogan der FDP fällt auf seine Urheber zurück: Die FDP hat sich zum Nichtstun entschlossen und ließ eine durchaus mögliche Jamaika-Koalition platzen. Damit gesellt sie sich zur Regierungsverweigerungspartei SPD und stimmt in die Grundmelodie ein: Die Partei ist wichtiger als das Land. 

Das Ergebnis der Bundestagswahlen am 24. September 2017 bleibt für alle demokratischen Parteien eine Herausforderung, vor allem weil AfD und Linke zusammen über 20 Prozent der Stimmen erhalten haben: Jeder fünfte Wähler hat sich für den rechten oder linken Rand entschieden. Damit ist die Verantwortung der demokratischen Parteien eigentlich hinreichend beschrieben. 

Sie besteht sicherlich nicht darin, die Wähler so lange zur Urne zu bitten bis das Ergebnis angenehm ist. Das gilt umso mehr als eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Ergebnis von Neuwahlen ähnlich ausfällt wie das letzte Ergebnis: Mit vielleicht etwas verschobenen Prozentzahlen ist es sehr gut möglich, dass wieder nur die Alternative „große“ Koalition oder Jamaika bleibt. Für Schwarz-Gelb müssten Union und FDP 6 – 7 Prozent hinzugewinnen ohne einander Stimmen abzunehmen. Rotgrün fehlen fast 20 Prozent und einem nicht zu verantwortenden Bündnis unter Einschluss der Linken immer noch ca. 10 Prozent der Stimmen. 

Neben der Stärkung der politischen Ränder war das deutlichste Ergebnis der letzten Wahlen die offenkundige Abwahl der nur vermeintlich „großen“ Koalition aus CDU/CSU und SPD (-14 Prozent). Die Stimmanteile von SPD und Union stürzten auf historische Tiefstände ab. 

Die Reaktion der SPD auf ihren beispiellosen Absturz in der Wählergunst ist auf den ersten Blick verständlich: Von 40 Prozent auf 20 Prozent in zwanzig Jahren. In acht Bundesländer liegt sie unter 20 Prozent, in fünf Bundesländern ist sie nicht einmal mehr zweitstärkste Partei. Die Sozialdemokraten brauchen einen Neuanfang und es ist im Interesse unserer Demokratie, dass dieser gelingt. Möglich ist ein solcher Neubeginn am ehesten in der Opposition – mit der erfreulichen Nebenwirkung, dass im Bundestag die Aufgabe der größten Oppositionspartei nicht den Populisten der AfD zufällt. Allerdings muss sich die SPD ebenso wie die FDP fragen lassen, ob die mit dem Wohl der Partei begründete Regierungsverweigerung auch im Interesse des Landes ist. 

Demokratie ist kein Wunschkonzert, sondern eine Verantwortungsgemeinschaft. Das gilt für Wähler wie für Gewählte. Dazu gehört es, Wahlergebnisse zu akzeptieren – auch wenn eigene Träume daran zerplatzen. Dass sich die Parteien zu wenig voneinander unterscheiden, wird nach den Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition jedenfalls niemand mehr im Ernst behaupten können. 

Trotz inhaltlicher Differenzen war es problematisch, dass die möglichen Jamaika-Partner immer wieder den Eindruck vermittelten, zu regieren sei die eigentliche Strafe in der Demokratie. Fast krampfhaft führten sie dem Publikum vor, dass sie eine von ihnen gebildete Regierung nur als bittere, aber eben notwendige Medizin „staatspolitischer Verantwortung“ schlucken würden. So konnte keine optimistische Stimmung eines politischen Neuanfangs entstehen. Diesen Vorwurf muss sich vor allem die CDU als stärkster Partner machen lassen. 

Man muss den Wählerwillen noch einmal in Erinnerung rufen, da die letzten Wochen den Eindruck vermittelten, bei den Jamaika-Verhandlungen säßen sich gleichstarke Partner gegenüber. Im Deutschen Bundestag entfallen 246 Sitze auf die Union (CDU: 200; CSU: 46), lediglich 80 auf die FDP und nur 67 auf die Grünen. 

In den Sondierungsgesprächen taten sich besonders die kleinen Partner schwer, denn auf dem Humus der Kompaktheit ihrer überschaubaren Mitgliedszahl blüht die Blume der „reinen Lehre“ besonders gerne. Rechnerisch gibt es unter 1000 wahlberechtigten Bürgern nur ein Mitglied der Grünen (61.000 Mitglieder) und auf ein Mitglied der FDP (55.000 Mitglieder) kommen 1120 Bürger. 

Fast zehnmal tiefer reicht die Verankerung der Volksparteien in die Bevölkerung. Schon unter 120 Bürgern findet sich statistisch ein CDU-Mitglied (431.000 Mitglieder ohne Bayern). In Bayern erreicht die CSU mit 142.000 Mitgliedern 66 Bürger pro Mitglied. Diese starke Verankerung in der Bevölkerung führt bei der CSU in Bayern zwar zu einer besonderen ausgeprägten parteiinternen Meinungsvielfalt, aber da sie außerhalb dieses großen Bundeslandes nicht vertreten ist, tendiert ihre Verankerung in der bundesdeutschen Bevölkerung insgesamt eher zum Niveau der kleinen Parteien. 

Für Volksparteien ist Kompromissbereitschaft innerparteilicher Alltag, denn in ihrer Mitgliedschaft repräsentiert sich die Vielfalt der Wählerschaft. Je weniger Mitglieder eine Partei hat, umso weniger ist sie in der Kompromissfindung geübt. Die Jamaika-Sondierungen lieferten dafür vielfältiges Anschauungsmaterial. Dennoch oder gerade deshalb wäre eine Jamaika-Koalition gerade für die Union eine große Chance gewesen, weil sie in einem solchen Bündnis stärker gefordert würde: Dass FDP und Grüne deutlich sagen, wofür sie stehen, erhöht den Profilierungsdruck auf die Union. Sie sollte sich etwas vom Idealismus der kleinen Parteien anstecken lassen, damit ihre Kompromisserfahrung nicht zur Gewöhnung an den kleinsten gemeinsamen Nenner degeneriert. 

Auch nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition darf die Union im Ideenwettbewerb der Parteien weder im Bremserhäuschen noch am Katzentisch sitzen. Es geht um Führungskraft und Gestaltungswille als zwei Seiten der gleichen Medaille. Die CDU muss das noch deutlicher machen, denn ob als bestimmende Kraft in einer Koalition, als Verantwortungsträger einer Minderheitsregierung oder vorhersehbar wiederum stärkste Partei nach Neuwahlen – der Kurs der CDU bleibt für Deutschland bestimmend. 

Dabei sollte man nicht vergessen, dass sich Deutschland keineswegs in einem staatspolitischen Notstand befindet, dessen Überwindung heroische Opfer der Parteien verlangt. Ganz im Gegenteil ist die Bundesrepublik eines der stabilsten, und wohlhabendsten Länder der Welt, das gerade deshalb ein solides Fundament für politischen Gestaltungswillen bietet. 

Deshalb ist es richtig, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor weiteren Entscheidungen mit den Vorsitzenden der möglichen Koalitionsparteien spricht und sie an ihre Verantwortung erinnert: "Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält." 

Alle sind dazu aufgerufen, ihre Entscheidungen erneut auf den Prüfstand zu stellen. Das gilt auch für FDP und SPD, denn wichtiger als das Wohl der Partei ist das Wohl des Landes und Deutschland braucht eine stabile Regierung mit Gestaltungswillen und Verantwortungsbereitschaft.  

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