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DAS INTERNET-KOLLEKTIV ANONYMOUS

20. Februar 2012
macht immer häufiger durch Hackerangriffe von sich reden. Man kann seine Ziele teilen oder auch nicht, aber seine Methoden sind in der freiheitlichen Demokratie inakzeptabel. Unter dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel" wird hier das digitale Faustrecht im Internet propagiert.
DAS INTERNET-KOLLEKTIV ANONYMOUS

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Der folgende Beitrag hat im Internet zu vielen Reaktionen von Anonymous-Anhängern geführt. Diese ich habe ausgewertet: Anonymous II: Sieben Erfahrungen aus einer Debatte mit dem Internet-Kollektiv

 

Anonymous:
Digitales Faustrecht im Internet

Man kann die Ziele des Internet-Kollektivs „Anonymous“ teilen oder auch nicht, aber seine Methoden sind in der Demokratie inakzeptabel. Die Bewegung nimmt nämlich für sich in Anspruch: der Zweck heiligt die Mittel. Dieser machiavellistische Grundsatz ist das Gegenteil von freiheitlicher Demokratie. Anonymous kämpft gegen Internetzensur mit den Mitteln der Zensur, indem durch Hackerangriffe systematisch Internetangebote unliebsamer Anbieter lahmgelegt werden. Man ist gegen „Netzsperren“, um selbst nach Gutdünken im Internet zu sperren, was nicht behagt.  

Anonymous propagiert nicht nur, sondern lebt das digitale Faustrecht im Internet. Auf der deutschen Anonymous-Homepage finden sich Slogans wie: „Da niemand weiß, was richtig ist, kann niemand beurteilen, was falsch ist.“ Oder „Alles ist erlaubt!“ 

Angeblich um die Freiheit des Internets zu schützen, bedient sich Anonymous des größten Feindes der Freiheit: der Angst. Aus dem Lehrbuch des Totalitarismus könnten Anonymous-Slogans stammen wie: „Identität ist unwichtig, wenn du weist, dass es uns gibt.“ oder „Wir sind viele, aber Du weißt nicht wer; wir sind überall, doch du weißt nicht wo.“ 

In Diktaturen schützt Anonymität vor Verfolgung, in der Demokratie gehört sie zur Grundausstattung der Gegner der Freiheit: Rechts- und Linksextremisten vermummen sich, religiöse Fundamentalisten agieren aus dem subversiven Untergrund. Wer im Schutz der Anonymität nicht nur Internetseiten lahmgelegt, sondern auch Kreditkartendaten stiehlt oder persönliche Daten veröffentlicht, bedient sich der gleichen Methoden. Der Glaube an die Überzeugungskraft eigener Argumente kommt darin jedenfalls nicht zum Ausdruck, eher die Feigheit dafür einzustehen. 

Die Anonymous-Bewegung ist so widersprüchlich wie die grinsende Maske von Guy Fawkes, hinter der sich ihre Anhänger gerne verstecken. Fawkes wollte 1605 mit mehr als zwei Tonnen Schwarzpulver das englische Parlament in die Luft sprengen. 2008 machte der Film „V wie Vendetta“ nach der gleichnamigen Comicserie das Gesicht des gescheiterten Terroristen bekannt, weil es der anarchistische Titelheld bei seinen Anschlägen als Maske trug. Die Rechte an Comic und Film liegen beim Medienkonzern Time Warner, einem der Feindbilder der Anonymous-Bewegung. Die von ihr benutzte Fawkes-Maske gehört zu den Merchandise-Produkten des Konzerns. So verdient der internationale Medienkonzern an jeder Maske, die seine Gegner im Kampf gegen ihn tragen...

 

Anonymous II: Sieben Erfahrungen aus einer Debatte mit dem Internet-Kollektiv

Mein Beitrag “Anonymous: Digitales Faustrecht im Internet” hat zu über 250 Kommentaren in meinem Blog und weiteren 170 Kommentaren auf Facebook geführt, die ich nicht alle einzelnen beantworten kann. Dennoch habe ich alle Kommentare freigeschaltet. Sie kommen meist aus der Anonymous-Szene und  ermöglichen einen interessanten Einblick in politische Weltbild von Anhängern des Internet-Kollektives. Vor allem zeigen sie ein erschreckendes Defizit im Blick auf den Minimalkonsens, auf den die freiheitliche Demokratie zur Gewährleistung der Meinungsvielfalt und das friedliche Austragen von Konflikten angwiesen ist.

Die zentralen Punkte der Debatte mit Anonymous lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1) In sehr vielen Kommentaren der Anonymous-Aktivisten wird schlichtweg bestritten, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Demokratie sei. Daraus wird das Recht auf jede Form des Widerstands abgeleitet und z. B. auch Hackerangriffe auf unliebsame Internetangebote. gerechtfertigt. Ohne dass dies irgendwo ausdrücklich erwähnt wird, erinnert diese Sichtweise sehr an die Thesen einer “strukturellen Gewalt” wie sie Johann Galtung Ende der 60er Jahre vertreten hat. Auch viele Anonymous-Aktivisten leiten daraus das “Recht auf Gegengewalt” und sehen in demokratischen Verfahren wie dem Machtwechsel durch Wahlen keine Perspektive.

2) Erschreckend viele Kommentare zeichnen sich durch einen aggressiven Ton und teilweise auch persönliche Beschimpfungen aus. Offenbar fällt es vielen Anonymous-Aktivisten schwer, anderen Meinungen Respekt entgegen zu bringen. Mit dem für Ideologien typischen Absolutheits- und Wahrheitsanspruch wird immer wieder beansprucht für die Mehrheit zu sprechen (“Wir sind 99 Prozent”). ”Agree to disagree” als eine Grundlage demokratischen Debattenkultur liegt manchen ebenso fern wie das Toleranzgebot von Voltaire: “Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.”

3) Ein größerer Teil der Anonymous-Kommentare rechtfertigt Hackerangriffe. Es handele sich bei der Blockade unliebsamer Internetangebote ähnlich wie bei Sitzblockaden um ein legitimes Mittel der Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit. Offen wird dabei eine Art von Selbstjustiz (“digitales Faustrecht”) beansprucht, denn Anbieter wie Paypal, Sony, RTL oder Mastercard hätten solche Attacken durch ihr Verhalten selbst “provoziert”.

4) Ein kleinerer Teil der Kommentare aus der Anonymous-Szene signalisiert eine gewisse Distanz zu Hackerangriffen. Insbesondere wird darauf verwiesen, es handele sich dabei bei solchen Aktionen um Aktivitäten einer kleinen Gruppe, die nicht typisch für Anoymous sei. Allerdings findet sich in den Kommentaren praktisch keine klare Ablehnung von Hackerangriffen oder Blockaden unliebsamer Internetangebote.

5) Der Anonymous-Slogan  „Wir sind viele, aber Du weißt nicht wer; wir sind überall, doch du weißt nicht wo” wird als reines PR-Markenzeichen verharmlost. Es wird in den Anonymous-Kommentaren schlichtweg bestritten, dass diese Aussage als Drohung verstanden werden kann. Dennoch wird durch die konsequente Verwendung des Slogans ein Diskussionklima geschaffen, das einschüchternd wirkt und wohl auch wirken soll.

6) Das ambivalente Gesicht der Anonymität wird geleugnet. Zurecht wird zwar darauf verwiesen, dass Anonymität auch in der Demokratie ein legitimes Recht ist (z.B. Wahlgeheimnis).Völlig ausgeblendet wird aber, dass Anonymität dort nicht legitim ist, wo in ihrem Schutz in der freiheitlichen Demokratie die Rechte von Mitbürgern eingeschränkt werden.

7) Das Internet-Kollektiv “Anonymous” behauptet zwar von sich unorganisiert zu sein, tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Innerhalb kurzer Zeit (2-3 Stunden) haben sich die Anonymous-Aktivisten bei Facebook, Twitter usw. verabredet, meinen Blog mit Kommentaren zu überhäufen. Dies war mit konkreten organisatorischen Hinweisen verbunden, wie das mit wechselnden e-mail-Adressen geschehen kann. So fand sich Facebook die Aufforderung: “ Um auf der Seite einen Kommentar abgeben zu können, benötigt Ihr eine E-Mail Adresse. Um nicht die eigene dort eingeben zu müssen, empfehlen wir Euch den Dienst http://10minutemail.com/10MinuteMail zu verwenden. Zum Thema Anonymous, freut sich der Autor des Artikels bestimmt über sehr viele konstruktive Kommentare von Euch! ;-D”  Eine Auswertung der Kommentare ergibt, dass eine sehr überschaubare Zahl von Aktivisten viele Kommentare eingestellt haben, um so den Eindruck einer breiten Bewegung zu schaffen.

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