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DAS ERGEBNIS DER VOLKSABSTIMMUNG

28. November 2011
zu Stuttgart 21 fiel eindeutig zugunsten der Befürworter des Bahnhofsprojektes aus. Unabhängig davon hat es die Debatte um direkte Demokratie neu belebt. Welche Folgerungen lassen sich in dieser Hinsicht aus der Abstimmung ziehen ?
DAS ERGEBNIS DER VOLKSABSTIMMUNG

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Plebiszit-Fazit Stuttgart 21

Am 27. November 2011 fand in Baden-Württemberg eine Volksabstimmung über das um­strittene Bahn­projekt „Stuttgart 21“ statt. Im Koalitionsvertrag vom Mai 2011 hatten Grüne und SPD als neue Mehrheit nach der Land­tagswahl vom 27. März 2011 festge­halten, dass die Koalitionspar­teien „unterschiedliche Meinungen zu diesem Projekt“ vertreten und eine Volksabstim­mung dar­über verein­bart. 

Die baden-württembergische Landesver­fassung legt für den Erfolg einer Volksabstimmung ein Zustim­mungsquorum von mindes­tens einem Drittel der Stimm­berechtigten fest, weil Volksabstimmungen Be­schlüsse des durch Wahlen legitimierten Landtages aufheben können. Eine akzeptierte Bindungswirkung könnten Volksabstimmungen aber nicht entfalten, wenn dort die Ent­scheidungsbefugnis bei wesentlich weniger Stimmbe­rechtigten läge als bei allgemeinen Wahlen. 

Das Ergebnis der Volksabstimmung über Stuttgart 21 lässt einige generelle Schlussfolgerungen zur Pro­blematik direkter Demokratie durch plebiszitäre Elemente zu. 

1) Lautstärke bedeutet nicht Mehrheitsfähigkeit 

Trotz einer lange anhaltenden Kampagne mit massiven auch medial verstärkten Protesten und Demonstra­tionen haben die Gegen von Stuttgart 21 bei der Volksabstimmung am 27. November 2011 ein klare Nie­derlage erlitten: 

  • In Baden-Württemberg insgesamt lehnten nur 41,2 Prozent der Abstimmenden Stuttgart 21 ab, hingegen stimmten 58,8 Prozent dafür. Mit 1,5 Mio Stimmen mobilisierten die Gegner des Bahnhofprojekts nicht wesentlich mehr Bürger als die Grünen bei der Landtagswahl im März 2011 Wähler hatten (1,2 Mio). 

  • Das von der Landesverfassung vorgeschriebene Quorum von einem Drittel der Abstimmungsbe­rechtigten verfehlten die Gegner von Stuttgart 21 mit 19,8 Prozent klar. Um das Quorum zu erreichen fehlten bei 3,6 Millionen Abstimmenden über eine Million Stimmen. 

  • Selbst in der Stadt Stuttgart, dem Zentrum des Widerstands, stimmte eine Mehrheit von 52,9 Pro­zent für das Bahnhofsprojekt, 47,1 Prozent waren dagegen. 

  • Nur in sieben der 44 Stadt- und Landkreise waren die Projektgegner in der Mehrheit, in keinem erreichten sie das notwendige Drittel-Quorum. Auffällig ist, dass die Projektgeg­ner nur dort eine Mehrheit erreichten, wo die Wahlbeteiligung unterdurchschnittlich war. 

Die Klarheit des Abstimmungsergebnisses hat viele überrascht, die angesichts der Massivität der Proteste die Gegner im Vorteil sahen oder zumindest ein knappere Ergebnis erwarteten. Letztlich war es aber eine lautstarke Minderheit, die den Eindruck der Mehrheitsrepräsentanz erweckte. Sie setzt sich nicht durch, weil die „schweigende Mehrheit“ stärker als erwartet an der Abstimmung teilnahm.

 

2) Wahlbeteiligung bei Plebisziten deutlich geringer als bei Wahlen 

Bei der baden-württembergischen Landtagswahl im März 2011 betrug die Wahlbeteiligung 66,3 Pro­zent, bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 wurde eine Beteiligung von 48,3 Prozent erreicht. Das sind 18 Prozent weniger. Auch die mit 67,8 Prozent überdurch­schnittliche Beteiligung an der Volksabstim­mung in Stuttgart lag unter der Beteiligung von 73,1 Prozent an der Landtagswahl in der Landes­hauptstadt. 

Insgesamt bestätigte sich damit erneut, dass die Beteiligung an Volksabstimmungen signifikant hinter der Beteiligung an entsprechenden Wahlen zurück bleibt. So stimmten beim Berliner Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof im April 2008 nur 36,1 Prozent der Wahlberechtigten ab, bei der bayerischen Abstimmung zum Nichtraucherschutz im Juli 2010 waren es 37,7 Prozent, beim Volksentscheid gegen die Schulreform in Hamburg im Juli 2010 nur 36,1 Prozent und beim Volksentscheid über die Offenlegung von Privatisierungsverträ­gen der Berliner Wasserbetriebe im Februar 2011 nur 27,5 Prozent. Die jeweiligen Landtagswah­len hatten ausnahmslos eine um zwanzig Pro­zent höhere Beteiligung. 

Diese Plebisziterfahrungen entsprechen den Ergebnissen einer von der Bertelsmann-Stiftung im Sommer 2011 veröffentlichten Umfrage: Danach sehen 94 Prozent der Bundesbürger in Wahlen die beste Form der politischen Beteiligung. Volksentscheide oder Abstimmungen über Infrastrukturprojekte kommen auf  nur 78 bzw. 68 Prozent. Für 21 bzw. 29 Prozent kommt eine Beteiligung daran nicht in Frage. 

3) Wer fragt, der bestimmt

Von hoher Bedeutung für den Ausgang von Volksabstimmungen ist die Formulierung der Abstimmungs­frage. Die Landesverfassung in Baden-Württemberg schreibt vor, dass über ein vom Landtag abgelehntes Gesetz abgestimmt werden muss. Deshalb lautete die Frage auf dem Ab­stimmungszettel: „Stimmen Sie der Gesetzesvor­lage „Ge­setz über die Ausübung von Kündi­gungsrechten bei den vertraglichen Verpflich­tungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S-21-Kün­digungsgesetz)“ zu ?“ 

Damit entstand die merkwürdige Situation, dass mit Nein stimmen (also das S-21-Kündigungsge­setz ab­lehnen) musste, wer Ja zum neuen Bahnhof sagt. Mit Ja musste stimmen (also dem S-21-Kündigungsge­setz zustimmen), wer den Bahnhof verhindern will. Umfragen zeigten, dass bis zu 18 Prozent der Bürger die Abstim­mungsfrage missverstanden. Im konkreten Fall dürfte dadurch das Ergebnis nicht beeinflusst worden sein, da die Verwirrung Befürworter und Gegner gleicherma­ßen betraf. Das Beispiel zeigt aber die generelle Möglichkeit der Ergebnisbeeinflussung durch die Formu­lierung der Fragestellung. 

4) Zur Bindungskraft plebiszitärer und parlamentarischer Mehrheiten

Ob von der Volksabstimmung das von der Landesregierung erhoffte „abschließende und befrie­dende Ur­teil“ zu Stuttgart 21 ausgehen wird, darf bezweifelt werden. Zwar hat der baden-würt­tembergische Minis­terpräsident Wilfried Kretschmann als ausgewiesener Projektgegner dazu auf­gerufen und für seine Lan­desregierung erklärt, das Ergebnis der Volksabstimmung zu akzeptie­ren. 

Gegner des Projektes stellten aber schon vor der Abstimmung die in der Landesverfassung fest­gelegten Spielregeln in Frage: Politisch entscheidend sei nicht die Höhe der Wahlbeteili­gung, sondern die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Dieses Argument ist durch das Ergebnis wertlos geworden, denn unabhängig vom Quorum hat sich eine Mehrheit der Abstimmenden für Stuttgart 21 ausgesprochen. 

Aber trotz des eindeutigen Ausgangs der Volksabstimmung stellen außerparlamentarische Projektgegner die Legitimität des Ergebnisses in Frage. So erklärte der Sprecher der „Parkschützer“, es sei ja nicht über Stuttgart 21 abgestimmt worden, sondern „nur“ über die Fi­nanzierung des Projektes und kündigte weitere Aktionen zur Verhinderung des Bahnhofsbaus an. Erschreckend ist insbesondere, wie viele Aktivisten im Internet angesichts der Abstimmungsniederlage von „Wahlbetrug“ sprechen. So bleibt offen, ob dem Er­gebnis der Volksabstimmung von der unterle­genen Minderheit höhere Akzeptanz entgegen gebracht wird als den zahlreichen eindeutigen Par­lamentsentscheidungen für Stuttgart 21 in den letzten Jahren.

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