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Stephan Eisel
„Bonn packt´s an“ endgültig im Abseits
Bonner Online-Haushalt scheitert auch im vierten Versuch
Obwohl schon bei den früheren Verfahren die Beteiligung der Bürger katastrophal gering war, führte die Stadt Bonn im Herbst 2016 zum vierten Mal nach 2011, 2012 und 2014 einen „Online-Bürgerhaushalt“ durch. Unter der Überschrift „Bonn packt´s an“ waren über 220.000 wahlberechtigte Bonner Bürger aufgefordert, Sparvorschläge zum kommunalen Haushalt zu unterbreiten und per Online-Voting zu bewerten.
Trotz eines beachtlichen Werbeaufwands endete das Verfahren im Oktober 2016 nach vier Wochen mit lediglich 71 abgegebenen Stimmen zum am meisten beachteten Sparvorschlag. Man kann das nur als Debakel bezeichnen.
Vergleichbare Städte wie Solingen, Frankfurt oder Freiburg haben solche internetbasierten „Bürgerhaushalte“ schon nach dem ersten Versuch wegen zu geringer Beteiligung eingestellt. In ganz Deutschland haben bisher nur etwa 100 von über 14.000 Städte und Gemeinden mit diesem Verfahren experimentiert.
Dass Bonn trotz der in den Vorjahren schon verschwindend geringen Beteiligung einen kostspieligen vierten Anlauf unternahm, hat ausschließlich politische Gründe. Im Rat hielten die Grünen an dem Projekt fest und ihre Koalitionspartner CDU und FDP widersetzten sich dem nicht. Für die Teilnahme am „Online-Bürgerhaushalt“ reicht es aus, sich mit einer e-mail-Adresse zu registrieren. Problemlos kann dabei die gleiche Person mit verschiedenen e-mail-Adressen, also mehrfach teilnehmen. Außerdem ist nicht überprüfbar, ob die Teilnehmer aus der jeweiligen Kommune kommen oder Ortsfremde sind.
Eine unabhängige Evaluierung der vier Bonner Online-Bürgerhaushalte fand bisher nicht statt. Bei zwei der vier Verfahren gibt es wenigstens einen „Abschlussbericht“, den die mit der Durchführung des internetbasierten Haushalts beauftragte Firma Zebralog erstellte. Sie kann allerdings bei der kritischen Prüfung des eigenen Verfahrens wegen eigener kommerzieller Interessen nicht als unbefangen gelten.
Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit haben diese Abschlussberichte die zuvor veröffentlichten Teilnehmerzahlen in erheblichem Maß revidiert. So wurde im April 2012 die von der Stadt 2011 mehrfach öffentlich behauptete Beteiligung von „12.715 Bonnern“ auf 11.116 „registrierte Nutzer mit aktiver Beteiligung", also um mehr als zehn Prozent nach unten korrigiert. Zudem wurde die Teilnehmerzahl um 338 Mehrfachregistrierungen „bereinigt". Das betraf allerdings lediglich Fälle von mehr als fünf unterschiedlichen Mail-Registrierungen vom gleichen (privaten) Internetzugang (IP-Adresse) bei gleichzeitig hoher Passwortgleichheit. Wer also sich also mit weniger als fünf unterschiedlichen Mail-Adressen unter der gleichen IP-Adresse einloggte oder für verschiedene mail-Adressen unterschiedliche Passwörter benutzte, wurde als Mehrfachteilnehmer nicht erfasst.
Außerdem vermerkt der Bericht, dass 2011 bei 1.705 Registrierungen ausdrücklich angegeben worden war, nicht in Bonn zu wohnen. In weiteren 1.871 Fällen wurden keine Angaben zum Wohnort gemacht. Ausdrücklich Ortsfremde (1.705) und mit hoher Toleranzgrenze eingeräumte Mehrfachregistrierungen (328) machten bei „Bonn packt´s an“ 2011 also fast 20 Prozent der zuvor schon um zehn Prozent nach unten korrigierten Teilnehmerzahl aus.
Beim Abschlussbericht für die zweiten Aktion im Juli 2012 wurden ebenfalls – wiederum öffentlich unbeachtet - die Zahl der registrierten e-mail Adressen von den in städtischen Pressemitteilungen angegebenen 1.740 um zehn Prozent nach unten auf 1.556 korrigiert. Nach dem Wohnort der Teilnehmer wurde nicht mehr gefragt und der Missbrauch durch Mehrfachregistrierungen nicht mehr untersucht. Stattdessen wurde erhoben, dass sich ein Drittel der Teilnehmer organisierten Interessengruppen zuordnete. Für die dritte Aktion 2014 liegt kein entsprechender Abschlussbericht vor.
Die Angaben der durchführenden Firma offenbaren insgesamt eine äußerst geringe Beteiligungsquote.
Die Angaben der durchführenden Firma offenbaren insgesamt eine äußerst geringe Beteiligungsquote.
Aktions-zeitraum |
Veröffentlichte Registrierungen zum Aktionsende |
Von der durchführenden Firma korrigierte Teilnehmerzahl |
Abzüglich der nach eigenen Angaben Ortsfremden |
Abzüglich der von der durchführenden Fima eingeräumte Mehrfachregistrierungen |
Bereinigte Zahl der |
18.01.-16.02.2011 |
12.715 |
11.116 |
1.705 |
328 |
9.083 |
12.04.-10.05.2012 |
1.740 |
1.556 |
|
3%=46 |
1.277 |
14.11.-12.12.2014 |
4.487 |
4.039 |
15%=605 |
3% =121 |
3.313 |
08.09. – |
1.512 |
1.361 |
15%=204 |
3%=40 |
1.117 |
Zum Vergleich: Die Bonner Ratsparteien haben mehr als 10.000 Mitglieder, in 280 Bonner Sportvereinen sind über 70.000, in 60 Kulturvereinen ca. 40.000 Bürger organisiert und die Bonner Stadtverwaltung hat ca. 5.000 Mitarbeiter, die von Sparvorschlägen teilweise unmittelbar betroffen sind und auch am Arbeitsplatz am Online-Verfahren teilnehmen konnten.
Von den 2016 registrierten 1.117 Bonner Teilnehmern haben lediglich 31 insgesamt 55 Sparvorschläge eingereicht. 14 dieser Vorschläge stammten von nur zwei Teilnehmern.
Noch deutlicher wird die fehlende Legitimation solcher Online-Verfahren, wenn man die Stimmenzahl betrachtet, die auf einzelne Sparvorschläge entfallen. Dabei suggeriert der von den Initiatoren gewählte Begriff „Bestenliste“ eine besondere Legitimation für 25 Vorschläge, die einen in absoluten Stimmen gemessenen besonders deutlichen Unterschied von JA/NEIN-Stimmen aufzeigen. Der im Verfahren 2016 am meisten unterstützte Vorschlag erhielt bei nur 71 abgegebenen Stimmen lediglich 52 JA-Stimmen. Meist blieb es bei der „Bestenliste“ bei einstelligen Zustimmungsraten. Schon die Zahl der ehrenamtlichen kommunalpolitischen Mandatsträger liegt 2016 also weit höher als die Unterstützung für eingestellte Sparvorschläge.
Übrigens: Im Juni 2011 musste die Bonner Stadtverwaltung gegenüber dem Rat einräumen, dass „Bonn packt´s an“ schon für einen Durchgang mehr als 300.000 Euro kostete (Honorar Firma Zebralog 72.620 Euro, Werbemaßnahmen 26.200 Euro, Personalkosten für eigene Stellen in der Verwaltung 82.308 Euro und Personalkosten für die Gesamtverwaltung 120.759 Euro). Seitdem wurden die Kosten nicht mehr umfassend offengelegt, dürften aber bei den vier bisher durchgeführten Verfahren insgesamt die Millionengrenze überschritten haben.
Das krampfhafte Festhalten an derartigen Online-Verfahren auch wenn sie von den Bürgern fast geschlossen durch Nicht-Beteiligung abgelehnt werden, schadet tatsächlicher Bürgerbeteiligung, weil es die Bürger nicht ernst nimmt. Hinzu kommt die grundsätzliche Problematik, dass durch Online-Abstimmungen ein Anschein demokratischer Legitimität erweckt wird, der sich angesichts der verschwindend geringen Beteiligung nicht seriös begründen lässt. Wo das Internet im politischen Prozess genutzt wird muss zur Technikfaszination deshalb zwingend auch die Demokratiekompetenz kommen.