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BLOCKADE-AKTIONEN SIND WEDER

08. Januar 2024
gewaltfrei noch demokratisch, denn sie wollen mit dem Recht des Stärkeren dem anderen den eigenen Willen aufzwingen. Dass sich solche Aktionen jetzt auch gegen die Grünen richten, zu deren Geschichte Blockadeaktionen z. B. gegen den NATO-Doppelbeschluss oder die Kernkraft gehören, zeigt einmal mehr, dass Goethe im "Zauberlehring" zu Recht warnte: "Die Geister, die ich rief, werd ich nicht mehr los!"

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Stephan Eisel

Blockaden sind nicht „gewaltfrei“,
sondern undemokratischer Zwang

Die Blockade, mit der Landwirte BM Habeck Anfang 2024 als Protest gegen die Kürzung von Zuschüssen durch die Ampelregierung am Verlassen einer Fähre hinderten, ist für Demokraten inakzeptabel. Solche Blockaden sind nicht „gewaltfrei“, sondern wollen anderen Menschen die eigene Meinung aufzwingen.

Politisch hoffähig gemacht wurden solche Blockaden auch von den Grünen im Protest gegen die Atomkraft und den NATO-Doppelbeschluss. Bei angeblichen „Klimaschützern“ werden sie bis heute entschuldigt. Der Zweck heiligt aber nicht die Mittel. Die Demokratie öffnet viele Türen, Meinungsverschiedenheiten im Respekt voreinander auszutragen. Blockaden sind als Zwangsmittel undemokratisch. Das gilt für Landwirtschaftsproteste ebenso wie für die „letzte Generation“.

Blockade-Aktionen verweigern im Kern die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols durch individuellen Gewaltverzicht. Die Akzeptanz der Grenzen eigener Freiheit an der Freiheit anderer als Fundament jeder freiheitlichen Demokratie wird dabei durch das „Recht“ des Stärkeren ersetzt. Zur Durchsetzung eigener Wahrheitsansprüche wird ein Sonderrecht der Wahl der Mittel einschließlich von Gewalt und Zwang beansprucht. 

Die geistigen Wurzeln dieser Haltung liegen in Teilen der 68er-Studentenproteste.1965 veröffentlichte der deutsch-amerikanische Philosoph Herbert Marcuse seine Theorie der „Repressiven Toleranz“. Danach ist der demokratische Staat eigentlich ein repressiver Staat, der den Einzelnen durch die scheinbare Gewährung demokratischer Freiheit ständig manipuliert. Der Einzelne ist demnach nicht nur berechtigt, sondern geradezu genötigt, der eigenen Befreiung wegen zur Gewalt zu greifen.

Nicht weniger folgenreich ist bis heute das Konzept der „strukturellen Gewalt“, das der norwegische Politologe Johan Galtungs 1969 formulierte.  Es definiert die „Ungleichheit in der Verteilung der Macht“ als Gewalt und mit diesem außerordentlich weit gefassten Gewaltbegriff letztlich jede Schwierigkeit für den Einzelnen als Ausdruck von Gewaltverhältnissen, gegen die man sich auch mit „Gegengewalt“ wehren dürfe. 

Die Wortführer der studentischen Protestbewegung der sechziger Jahre griffen die wesentlichen Stichworte dieser Gesellschafts- und Gewalttheorien schnell auf und nutzten sie für ihren politischen Tageskampf. Da war oft die Rede vom Recht auf Widerstand gegen die „staatliche Gewaltmaschine“ (Dutschke).

Gerade im alternativ-grünen Bereich entfalteten die Theorien von Marcuse und Galtung große Wirkung: Mit der Vorstellung von einer Allgegenwart gesellschaftlicher und staatlicher Gewalt wurde Gegengewalt gerechtfertigt. Es wurde üblich, damit Blockaden von Castor-Transporten ebenso wie Hausbesetzungen oder Kasernenblockaden zu entschuldigen. 

So formulierten 1981 die Abgeordneten der Alternativen Liste im Berliner Abgeordnetenhaus Michael Wendt und Klaus-Jürgen Schmidt in einem Spiegel-Interview: „Wir haben die Gewalt nicht erfunden, wir haben sie vorgefunden. Wir gehen davon aus, dass tatsächlich Verhältnisse bestehen, die auf Gewalt beruhen. Dass es dagegen ein legitimes Widerstandsrecht gibt, haben wir in unserem Programm auf die Formel gebracht, dass die Betroffenen die Form ihres Widerstandes selbst entscheiden.“ So gesehen „ist der Steinwurf eines Demonstranten“ wie es Rainer Trampert als damaliger Bundesvorsitzender der Grünen 1983 ausdrückte „meines Erachtens Ausdruck einer schreienden Hilflosigkeit gegen dieses Gewaltpotenzial.“ Der in der Alternativszene häufig anzutreffende Slogan „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ war das popularisierte Resultat von Marcuses und Galtungs Theorien. 

Hinzu kam der Anspruch auf das Definitionsmonopol, was Gewalt sei und was als „gewaltfrei“ zu gelten habe. Im „Friedensmanifest“ der Grünen vom Herbst 1981 heißt es: „Wir lassen uns nicht durch Vertreter der Staatsgewalt irritieren, die nicht legale, gewaltfreie Aktionen als verkappte Gewalt darstellen wollen.“ Petra Kelly unterstrich am 4. Mai 1983 im Deutschen Bundestag: „Wir lassen auf jeden Fall nicht zu, dass Gerichte, dass Herrschende, dass die Polizei und wer sonst noch, die selbst Gewalt anwenden, unseren Begriff von Gewaltfreiheit selbst definieren und uns die moralische Integrität absprechen.“ 

Begriffsumdeutungen und –manipulationen waren in der Folge Tür und Tor geöffnet, das rechtfertigende Wort vom „gewaltfreien Widerstand“ hat bis heute Hochkonjunktur. Es war in diesem Umfeld kein Problem, auch Blockaden unter das Schlagwort „Gewaltfreiheit“ zu fassen – man bestimmte ja selbst, was Gewalt ist. Aber bei Blockaden und Besetzungen kann von wirklicher Gewaltfreiheit keine Rede sein. Tatsächlich liegt Nötigung vor, denn einzelne Personen oder Gruppen werden zu bestimmten Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen gezwungen. Völlig zu Recht definierte der 1999 verstorbene hoch angesehene Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg auch „rechtswidrige, scheinbar gewaltlose Aktionen, die nur mit Gewalt verhindert oder beseitigt werden können“, als gewaltsam.

In diesem Zusammenhang ist es übrigens unzulässig, sich auf Mahatma Gandhi zu berufen. Er befürwortete Boykott als Mittel des Protestes und lehnte Blockadeaktionen ausdrücklich ab. Ghandi schrieb 1921: „Einige Studenten haben die alte Form des Sitzstreiks zu neuem Leben erweckt. Ich nenne es Barbarei, denn es ist eine unreife Art, auf andere Zwang auszuüben.“

Das Bundesverfassungsgericht stellte zuletzt 2011 fest: „Auch einem Laien ist es hinreichend nachvollziehbar, dass ein Verhalten wie das der Demonstranten durch die Blockade für die im Stau eingeschlossenen Fahrer eine körperliche Zwangswirkung herbeiführt und damit als Nötigung tatbestandsmäßig sein kann.„

Konrad Adenauer hat es in seiner berühmten Rede am 24. März 1946 – weniger als ein Jahr nach dem Ende von Krieg und NS-Diktatur – auf den Punkt gebracht: „Wer wirklich demokratisch denkt, muss sich immer leiten lassen von der Achtung vor dem anderen, vor seinem ehrlichen Wollen und Streben.“ Anderen durch Blockadeaktionen den eignen Willen aufzuzwingen ist in einer Demokratie das Gegenteil davon.

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