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Stephan Eisel
Europas Tagesordnung der Zukunft
Nach der Selbstfindung geht es um die Selbstbehauptung Europas
Bei der Europawahl am 26. Mai 2019 steht viel auf dem Spiel: Wollen wir die Zukunft unseres Kontinents den Nationalisten und Populisten von links und rechts überlassen, oder uns selbst für das stark machen, was uns wichtig ist.
Was Konrad Adenauer am 28. Mai 1957 vor dem amerikanischen Senat gesagt hat, ist wieder hochaktuell: „Zum Ruhme der Weitblickenden unter unseren Verfassungsgebern können wir heute feststellen, dass unser Grundgesetz bereits eine Bestimmung vorgesehen hat, die Übertragungen von Souveränität durch einfaches Gesetz gestattet. Das war ein großer Entschluss. Er bedeutet nicht weniger als eine Absage an den für die zersplitterte europäische Staatenwelt nicht mehr zeitgemäßen Gedanken, dass der Nationalstaat die letzte und höchste Größe des politischen Lebens sei – eine Idee, die Europa in der Vergangenheit untragbar viel Gut und Blut gekostet hat.
Man muss an diese Lehre aus der Geschichte wieder erinnern, denn heute wird vieles für viel zu selbstverständlich genommen, was hart erarbeitet wurde. Die Motivation der Gründergeneration „Nie wieder Krieg! Nie wieder Diktatur!“ hat nach 1945 zur Gründung der Europäischen Union geführt und begründet ihren Erfolg, Frieden und Freiheit für und in Europa zu sichern.
Das bleibt wichtig, reicht aber nicht mehr aus. Uns Europäern muss im Zeitalter der Globalisierung klarer werden, dass wir nur ein kleiner Teil dieser Welt sind. Heute leben nur etwa 7,5 Prozent der Weltbevölkerung in der Europäischen Union. 2050 werden wegen des unterschiedlichen Bevölkerungswachstums nur rund 4 Prozent der Menschheit Europäer sein. Wir haben als kleine Minderheit in der Weltgesellschaft nur dann eine Chance, unsere Werte, unsere politische Kultur, unsere Lebensweise und unseren Wohlstand zu bewahren, wenn wir noch mehr zusammenrücken und noch enger zusammenarbeiten. Nach der Selbstfindung der Europäer durch die Verankerung von Frieden und Freiheit auf dem eigenen Kontinent ist die Selbstbehauptung Europas in der zusammenwachsenden Welt die neue Notwendigkeit und zusätzliche Legitimation der europäischen Einigungsbewegung.
Dabei wird zu selten wird darüber gesprochen, wie das geeinte Europa der Zukunft aussehen soll. Aber Unklarheit schafft auch hier nur Unsicherheit. Wer das Ziel nicht beschreibt, wird den Weg dorthin nicht finden. Die „Vereinigten Staaten von Europa“ hat der große Schriftsteller Victor Hugo in seiner Eröffnungsrede für den Pariser Friedenskongress 1849 ebenso gefordert wie Winston Churchill in seiner berühmten Züricher Rede 1946. Man kann auch wie die CDU in ihrem ersten Grundsatzprogramm 1978 vom „europäischen Bundesstaat“ sprechen. Es geht um ein föderalistisches Gegenmodell zu einem europäischen Zentralstaat, um ein Europa nach „bundesstaatlichen Prinzipien und Methoden“ wie es im aktuellen Grundsatzprogramm der CDU aus dem Jahr 2007 heißt. Dort wird auch zu Recht formuliert: „An dem langfristigen Ziel, eine Verfassung für die Europäische Union zu schaffen, halten wir fest.“
Dazu ist es notwendig, die Demokratiereform für die europäischen Institutionen voranzutreiben. Schon für den status quo der Integration reichen die gegenwärtigen Verfahren nicht aus, für die Einigungsnotwendigkeiten der Zukunft umso weniger. Es geht um mehr Handlungsfähigkeit und bessere demokratische Kontrolle. Dabei muss das von den Bürgern frei gewählte Europäische Parlament gestärkt werden. Wer wie die AfD für das Europaparlament kandidiert, um es dann aufzulösen, hat weder Europa noch Demokratie verstanden.
Dabei gilt es, das im Lissabonner Vertrag verankerte Subsidiaritätsprinzip auf europäischer Ebene konsequent anzuwenden: So sollten, wo sinnvoll, Aufgaben von Brüssel in die Mitgliedstaaten und Regionen verlagert werden. Zugleich müssen die europäischen Institutionen dort stärker werden, wo es für die Selbstbehauptung Europas wichtig ist: Vor allem bei der inneren und äußeren Sicherheit und mit bessere Regeln zur Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik
Es ist auch notwendig, die EU-Erweiterung vom Kopf auf die Füße zu stellen. In Artikel 49 EU-Vertrag heißt es: „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 6 Absatz 1 genannten Grundsätze achtet, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden.“ Es geht dabei in Artikel 6 um die „Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit." Aber es kann eben nicht jeder Staat, der diese Grundsätze erfüllt, Mitglied der EU werden, sondern nur „jeder europäische Staat“. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft mit geographischem Bezug. Deshalb ist es richtig, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzustellen und die Perspektive einer privilegierten Partnerschaft zu konkretisieren.
Europäische Selbstbehauptung als Begründung für weitere Integrationsschritte, mehr Demokratie zur Steigerung der europäischer Handlungsfähigkeit und eine klare Definition der Grenzen Europas — das ist die europäische Tagungsordnung der Zukunft. Wenn wir daran nicht arbeiten, werden wir Europäer in einer Welt des Putin-Imperialismus, des Trump-Nationalismus und chinesischen Hegemoniestrebens zu handlungsunfähigen Objekten. Wenn wir handlungsfähig und eigenständig bleiben wollen, müssen wir Europa stärken.
Das Brexit-Referendum mit dem folgenden Chaos zeigt, was geschieht, wenn man anderen das Heft des Handelns überlässt. Deshalb ist es wichtig an den Wahlen zum Europaparlament am 26. Mai teilzunehmen - mit einer pro-europäische Stimmabgabe!