Den folgenden Text, der am 25. Juni im Bonner General-Anzeiger veröffentlicht wurde, können Sie hier ausdrucken.
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Stephan Eisel
Beethovens verschwundene Denkmalurkunde
Wenn das Beethoven-Denkmal in den nächsten Tagen zum dritten Mal auf dem Münsterplatz ankommt, bleibt ein Rätsel ungelöst: Wo ist die Denkmal-Urkunde, die am 12. August 1845 u.a. von König Friedrich Wilhelm IV., Queen Victoria und Franz Liszt unterschrieben und angeblich im Sockel des Denkmals verschlossen wurde?
Diese Urkunde hoffte man schon am 26. August 1963 zu finden, als das Denkmal zu einer ersten Restaurierung in die Bonner Kunstschmiede Karl König gebracht wurde. Der General-Anzeiger schrieb damals über die Demontage des Denkmalsockels: „Mit zwei Presslufthämmern rückten Arbeiter Steinen und Mörtel zu Leibe.“
Man stieß dabei tatsächlich auf eine Kassette, allerdings war die Enttäuschung groß, denn die erhoffte Denkmalurkunde befand sich nicht darin. Dazu heißt es im „Informationsdienst der Stadt Bonn“ vom 16. September 1963, man habe „nur wenig Interessantes“ gefunden: „Keine Dokumente, keine besonderen Beigaben der Zeit, keine hervorragenden Autographen, keine Zeitzeugenberichte. Es lagen in der Kassette die Schottsche Ausgabe der Partituren „Missa solemnis“ (1827) und der 9. Sinfonie, historisch an sich noch wertvoll genug, aber an Beischreiben lediglich der dürftige Widmungstext in der Partitur der Neunten.“
Wie es zu diesem damals überraschenden Fund kam, klärt sich, wenn man den Blick auf die Zeit vor der Enthüllung des Denkmals richtet:
Im Februar 1842 hatte nach einem Wettbewerb der Dresdner Bildhauer Ernst Julius Hähnel den Zuschlag für seinen Entwurf eines Beethoven-Denkmals erhalten. Gegossen wurde die Statue dann 1845 in der Nürnberger Kunstgießerei von Jacob Daniel Burgschmiet.
Am 6. Juni 1845 schrieb Hähnel wegen der konkreten Vorbereitungen für die Aufstellung des Denkmals an den Vorsitzenden des Denkmal-Komitees Heinrich Breidenstein: „Der Ueberbringer dieses Briefes ist der Steinmetzgeselle Mitteis, welchen ich nach Bonn reisen ließ, um dort den Granitsockel zu versetzten.“ Das Bonner Wochenblatt vermeldete dann am 11. Juni 1845, dass zwei Tage zuvor „die zum Denkmalsockel des Beethoven-Monuments gehörigen Teile … auf zwei Frachtwagen“ in zwölf Kisten mit einem Gewicht von 258 Zentnern in Bonn eingetroffen seien.
Nachdem der Granitsockel auf dem Münsterplatz eingelassen war, fand dort am 10. Juli eine Art vorläufiger Grundsteinlegung in kleinem Kreis statt. Dazu heißt es im Bonner Wochenblatt am 13. Juli 1845 ausdrücklich: „Die eigentliche Grundsteinlegung, d. h. die Einsenkung eines historischen Dokuments in den Fuß des Denkmals wird erst später und zwar mit der gebührenden öffentlichen Feierlichkeit stattfinden.“
Allerdings habe der mit Beethoven eng verbundene Mainzer Musikverlag Schott dem Denkmal-Komitee die Partituren der 9. Sinfonie und der Missa solemnis geschickt „mit dem Wunsche, dieselben in den Sockel des Denkmals einmauern zu lassen.“ Diese Anregung griff das Komitee bereitwillig auf, weil der Verlag angeboten hatte, alle notwendigen Stimmen für die Aufführung der beiden Werke in Bonn unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.
So kam es zu der kleinen Zeremonie am 10. Juli 1845, über die das Bonner Wochenblatt schrieb: „Nachmittags sechs Uhr, in Gegenwart der meisten Mitglieder des Comite´s , die
vollständige Partitur der oben genannten beiden Meisterwerke, mit einer passenden, von allen Anwesenden unterzeichneten Inschrift versehen, in eine hermetisch verschlossene Metallkapsel gelegt und unter den üblichen Gebräuchen in der Mitte des Monument-Sockels eingemauert.“
Zwei Wochen später traf am 23. Juli das Denkmal auf dem Rhein in Bonn ein. Wie das Bonner Wochenblatt zwei Tage später berichtete, wurde das „reichbewimpelte und bekränzte Schiff mit Beethoven´s Standbilde“ von „einer kleinen Flotille“ „unter anhaltenden, von allen Seiten her ertönenden Geschützessalven, mit Musik und Gesang“ abends um acht Uhr von „zahlreichen Ehrendeputationen“ in Bonn begrüßt. Dabei war „das ganze Ufer, so wie die Fenster und Terrassen der angrenzenden Gebäude mit einer zahllosen Menschenmenge, Kopf an Kopf gedrängt, fast überfüllt“. Auf einem von Fackelträgern begleiteten „Triumphwagen“ wurde die Statue dann durch die geschmückte und illuminierte Stadt zum Münsterplatz gebracht.
Am 31. Juli 1845 berichtete das Bonner Wochenblatt schließlich, es sei „in der Bauhütte auf dem Münsterplatz innerhalb des verhüllten Gerüstes Beethoven´s Standbild auf das bereits seit ein paar Tagen fertige Bronze-Piedstal mit glücklichem Erfolge aufgestellt“ worden.
Am 12. August 1845 wurde die Beethoven-Statue schließlich feierlich im Rahmen des von Franz Liszt initiierten ersten Beethovenfest feierlich enthüllt. Tausende Besucher warteten damals auf dem Münsterplatz bei großer Hitze auf den großen Moment.
Aber die prominenten Gäste mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. und Queen Victoria an der Spitze verspäteten sich. Wie sich Heinrich Breidenstein später erinnerte, bat man die königlichen Hoheiten dann auf dem Balkon des Fürstenbergschen Palais, „die von dem Comité-Mitglied, Herrn Universitätsrichter von Salomon entworfene, auf Pergament geschriebene Stiftungs-Urkunde“ zu unterzeichnen. Der preußische König habe aber darauf bestanden, dass der Text zunächst verlesen werde.
Das ausführliche Dokument – im Fomat 38,5 x 61 cm einseitig eng beschrieben - schildert nicht nur die Geschichte des Denkmals, sondern auch den Ablauf der Enthüllung, die zum Zeitpunkt der Niederschrift ja noch nicht stattgefunden hatte. Es schließt mit den Worten: „Über all dieses wurde die gegenwärtige Urkunde in doppeltem Original aufgenommen und den Allerhöchsten und höchsten Herrschaften alluntertänigst vorgelegt, worauf Allerhöchst und Höchst dieselben beide Originale zu unterzeichnen geruthen, welche demnächst auch von dem Comite unterschrieben wurde und ward alsdann eines jener Originalien in eine bleierne Capsel geschlossen und am Fuße des Denkmals eingemauert, das zweite aber zur Aufbewahrung in dem städtischen Archiv bestimmt.“
Neben den königlichen Hoheiten und den Mitgliedern des Denkmal-Komitees haben auch einige Bürger unterschrieben, die - wie es Breidenstein in seinen Erinnerungen nennt – „sich für die Vorbereitung und Anordnung der Inaugurationsfestlichkeiten mit begeistertem Eifer und der rühmlichsten Thätigkeit uns anschlossen“.
Während sich die Unterschrift des anwesenden Naturforschers Alexander von Humboldt nicht identifizieren lässt, fällt die des und des englischen Strumpfwaren-Fabrikanten und Beethoven-Liebhabers William Gardiner auf. Er Gardiner hatte – im gleichen Jahr wie Beethoven geboren - 1796 in Leicester die vermutlich erste Aufführung eines Beethoven-Werkes vor Publikum außerhalb von Deutschland oder Österreich ermöglicht.
1845 reiste der schon 75-jährige Beethoven-Verehrer zur Einweihung des Beethoven-Denkmals nach Bonn. Dazu erinnerte sich Gardiner später, dass ein Mitglied des Denkmal-Komitees, nämlich „Professor Walter von der Universität bemerkte, dass ein englischer Gentleman anwesend war, der im selben Jahr mit Beethoven geboren wurde und der die erste Person war, die seine Musik in diesem Land einführte; und obwohl er gegen alle Vorschriften verstieß, schlug er vor, diesen Herrn zu ehren, indem er seinen Namen auf das Dokument setzte. Ich stieg die Stufen des Sockels hinauf und hätte mit zitternder Hand meinen Namen geschrieben, aber es war kaum Platz: es war jedoch ein Platz direkt unter Victoria und Albert, als alle riefen: „Engländer! Engländer” und mir wurde befohlen, dort meinen Namen zu schreiben – eine Ehre, die ich niemals hätte erwarten können, und die größte, die ich je in meinem Leben erhalten habe.“
Nicht nur im Urkundentext, sondern auch im Bonner Wochenblatt war am 14. August 1845 zu lesen, dass zum Ende der Feierlichkeiten die „Urkunde in bleierner, hermetisch verschlossener Kapsel, unter den üblichen Ceremonien in den Fuß des Monumentes zur immerwährenden Gedächtnis eingesenkt und vermauert“ wurde.
Aber genau dies ist offenbar nicht geschehen, denn eine solche Kapsel mit dem Dokument wurde weder beim Abbau des Denkmals 1963 noch beim Bau der Münsterplatz-Garage gefunden. Wie die Urkunde am 12. August 1845 im Denkmalsockel eingemauert worden sein soll, ist auch technisch schwer vorstellbar: Das Fundament war seit der Aufstellung der Statue Ende Juli praktisch verschlossen, und im Postament ist keine Öffnung für eine Urkundenkassette zu finden.
Das zweite Exemplar der Denkmal-Urkunde wurde wohl tatsächlich dem Stadtarchiv übergeben, denn im Mai 1890 war es bei einer Ausstellung zum ersten Kammermusikfest des Beethoven-Hauses zu sehen und im Ausstellungskatalog ausdrücklich als „im Besitz der Stadt Bonn“ beschrieben. Danach wurde das Dokument von der Stadt offenbar dem Beethoven-Haus überlassen, wo es bis heute aufbewahrt wird. Wegen dieses zweiten Exemplars kennen wir den Inhalt der Urkunde und auch die Unterschriften sind im Original erhalten. Das erste Exemplar bleibt verschollen. Es lohnt sich also durchaus Speicher und Keller in Bonn noch einmal gründlich zu durchforsten.
Im „Informationsdienst der Stadt Bonn“ vom 16. September 1963 war übrigens angekündigt worden, bei der Wiederaufstellung den Denkmals werde ein „neuer Metallbehälter in das Fundament eingelassen werden“, der aber nicht nur die gefundenen Partituren enthalten solle: „Dokumentarische Beigaben von heute werden die Nachkommen späterer Zeiten, die vielleicht wiedereinmal das Denkmal bewegen müssen, wenigstens teilweise für das entschädigen, was das Komitee versäumt hat.“ Das war aber offenbar am 28. April 1965 schon wieder vergessen, als das Denkmal auf den Münsterplatz zurückkehrte. Jedenfalls wurde nichts gefunden als das Denkmal am 5. Januar 2022 für die erneute Restaurierung abmontiert wurde. Die Partituren befinden sich bis heute im Stadtarchiv.
Wenn das Denkmal jetzt in den nächsten Tagen erneut aufgestellt wird, soll das Versäumte mit einer neuen Kassette im Denkmal-Sockel nachgeholt werden – mit Faksimiles der Partituren aus dem Stadtarchiv und der Denkmal-Urkunde aus dem Beethoven-Haus. Vielleicht kommen auch noch wie von den Bürgern für Beethoven angeregt und 1965 versäumt „dokumentarische Beigaben“ z. B. des Beethoven-Orchesters, den Beethovenfesten und aus dem Beethoven-Jubiläumsjahr dazu. Im Blick auf künftige Generationen wäre das jedenfalls wünschenswert.
Die im Beethoven-Haus aufbewahrten Denkmal-Urkunde hat 33 oder 34 Unterschriften, von denen einige allerdings nicht zuzuordnen sind. Zu den eindeutig identifizierbaren Unterzeichnern gehören König Friedrich Wilhelm IV und seiner Gemahlin Elisabeth, seine jüngeren Bruder Wilhelm (Prinz von Preußen und späterer Kaiser) und sein Vetter Prinz Friedrich von Preußen sowie die englischen Königin Victoria mit ihrem Mann Albert und Erzherzog Friedrich von Österreich. Dazu kommen acht Unterschriften von Mitgliedern des Denkmal-Komitees (Breidenstein, Liszt, de Claer, Graf von Fürstenberg-Stammheim, Gerhards, Kneisel, von Salomon und Walter). Eine dritte Gruppe von Unterzeichnern sind Bonner Bürger, die sich bei den Inaugurationsfeiern für das Denkmal besonders engagiert haben (Leutnant Böse, Stadtrat Degen, Rendant Doussin, der Hüttenbesitzer Jaeger, der Rentner Neumann, der Weinhändler Pestazzi, der Privatdozent Schaffhausen, der Arzt Schild, Professor Urlichs und der Apotheker Wrede).