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IM INTERNET IST DAS LÖSCHEN UND SPERREN

01. Dezember 2011
von kriminellen Angeboten keine Alternative, sondern gehört beides zur Verteidung von Demokratie und Menschenrechten. Deshalb halte ich es für falsch, dass der Deutsche Bundestag jetzt das 2009 im Zusammenhang mit der Debatte im Kinderpornographie im Internet beschlossene "Zugangserschwerungsgesetz" wird aufgehoben hat.
IM INTERNET IST DAS LÖSCHEN UND SPERREN

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LÖSCHEN UND SPERREN SIND KEINE ALTERNATIVEN

Ich halte es für falsch, dass der Deutsche Bundestag am 1. Dezember 2011 das sog. „Zugangserschwerungsgesetz“ aus dem Jahr 2009 aufgehoben hat. Ich habe diesem Gesetz aus guten Gründen zugestimmt: 

Es darf nicht zugelassen werden, dass sich das Internet als rechtsfreier Raum geriert. Was in der freiheitlichen Demokratie offline verboten ist, kann nicht online erlaubt werden. Dabei ist es für demokratische Staaten ebenso legitim, entsprechende Internetseiten generell zu löschen wie sie bis zur möglichen Löschung zu sperren. Wo es um die Durchsetzung des Rechts geht, sind Löschen und Sperren keine Alternativen, sondern ergänzen einander. 

Eine– wohl auch wegen der herannahenden Bundestagswahlen – stark emotionalisierte Debatte löste 2009 eine Initiative der damalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ursula von der Leyen aus, den Zugriff auf kinderpornographische Angebote im Internet bis zur Löschung entsprechender Seiten durch deren Sperrung zu verhindern. 

Der Deutsche Bundestag verabschiedete dazu am 18. Juni 2009 das „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ (Zugangserschwerungsgesetz). Darin wird das Bundeskriminalamt beauftragt, eine „Sperrliste“ über Internet-Domains zu führen, „die Kinderpornographie nach § 184b des Strafgesetzbuchs enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Telemedienangebote zu verweisen“. Internetprovider haben nach dem Gesetz „geeignete und zumutbare technische Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu Telemedienangeboten, die in der Sperrliste aufgeführt sind, zu erschweren.“

Aus der Netz-Community wurde dagegen eine öffentlichkeitswirksame Kampagne unter dem Motto „Löschen statt Sperren“ initiiert. Damit wurde ein künstlicher Gegensatz zwischen dem Löschen und Sperren solcher Webseiten hergestellt. Das Problem liegt vor allem darin, dass eine Vielzahl der nach deutschem Strafrecht verbotenen kinderpornographischen Internetangebote auf Servern im Ausland beheimatet ist und nur dort die Löschung veranlasst werden kann. 

Über den Erfolg dieser Löschmaßnahmen gibt es unterschiedliche Zahlen. Der Verband der Internetwirtschaft ‚eco‘ gibt eine Erfolgsquote von 99 Prozent an, das Bundeskriminalamt meldet nach einer Woche eine Löschquote von siebzig bis achtzig Prozent, nach zwei Wochen 93 Prozent und nach vierWochen sogar 99 Prozent. Allerdings kommen pro Monat 100 bis 150 neue Seiten hinzu, die sicherlich teilweise nur umgezogene, vermeintlich gelöschte Angebote sind. Tatsächlich war das Sperren fraglicher Seiten immer als Zwischenlösung bis zur Löschung vorgesehen. 

Allerdings hat die breite öffentliche Kampagne gegen solche Internetsperren nach der Bundestagswahl 2009 ihren Niederschlag im Koalitionsvertrag zwischen CDU/ CSU und FDP gefunden. Dort wurde auf Druck der FDP in ungewöhnlicher Weise vereinbart, ein vom Deutschen Bundestag beschlossenes gültiges Gesetz nicht anzuwenden: „Wir sind uns darüber einig, dass es notwendig ist, derartige kriminelle Angebote schnellstmöglich zu löschen statt diese zu sperren. Wir werden daher zunächst für ein Jahr kinderpornographische Inhalte auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes nicht sperren.“ Erst am 1. Dezember 2011 wurde das Gesetz durch Beschluss des Deutschen Bundestages abgehoben. 

Tatsächlich aber ist es unsinnig, das Löschen und Sperren von kinderpornographischen Seiten in einen Gegensatz zueinander zu bringen. Es geht hier nicht um eine sich ausschließende Alternative, sondern um sich einander ergänzende Maßnahmen. Die Strategie muss lauten „Löschen und Sperren“: Der Kampf gegen Kinderpornografie muß sowohl auf der Produzenten wie auf der Konsumentenseite ansetzen. 

Inzwischen befasst sich auch das Europäische Parlament mit dieser Frage. Dort zeichnet sich eine Regelung ab, wonach dem Löschen kinderpornographischer Inhalte an der Quelle „höchste Priorität“ eingeräumt wird, das Sperren einschlägiger Webseiten aber als Zusatzmaßnahme von den Mitgliedsstaaten eingesetzt werden soll, wenn die Inhalte auf Servern außerhalb der EU lagern oder das Löschen zu lange dauert. 

Auch wenn entsprechende Gesetz jetzt aufgehoben wurde, bleibt das Thema sicherlich auf der Tagesordnung. Hier geht es nicht nur um das Spezialthema Kinderpornographie, sondern um eine sehr grundsätzliche Entscheidung. Dabei müssen in einer freiheitlichen Gesellschaft strengste Maßstäbe angelegt werden, wenn es um die Frage geht, wo die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden muss, weil die Grundlagen der Freiheit und die Menschenwürde attackiert werden. 

Auch in der Offline-Welt kann beispielsweise die Verbreitung von Publikationen mit strafbarem Inhalt verboten werden, wenn die verantwortlichen Verlage noch nicht geschlossen werden können. Organisationen wie der ‚Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur‘ wenden sich aber gegen jeden Eingriff, der die Erreichbarkeit von vorhandenen Internetangeboten für Nutzer erschwert, auch wenn die Verbreitung des gleichen Inhalts außerhalb des Internets strafbar wäre. Ganz allgemein werden Internet-Sperren als „schädlich für die Demokratie“ abgelehnt. Diese Art von Sonderrecht für das Internet als Zone außerhalb des Strafgesetzes kann in einer freiheitlichen Demokratie nicht hingenommen werden. 

Wo das Löschen strafbarer Internetangebote nicht unverzüglich möglich ist, kann die freiheitliche Demokratie nicht auf das Sperren verzichten: Wer hier reflexartig immer gleich ‚Zensur‘ ruft, sollte sich überlegen, ob es im Cyberspace zum Beispiel ein Recht auf Anleitung zum Bombenbau, auf Leugnung des Holocaust oder auf Konsum von Kinderpornografie geben kann. Der freiheitlich-demokratische Staat kann sich vor seiner Verantwortung auch im Internet nicht drücken.

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