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"BONN PACKT´S AN" IST ALS ONLINE-

20. Oktober 2016
Bürgerhaushalt jetzt zum vierten Mal am Desinteresse der Bürger gescheitert. Das krampfhafte Festhalten an solchen Verfahren auch wenn sie von den Bürgern fast geschlos­sen abgelehnt werden, schadet tatsächlicher Bürgerbeteiligung, weil es die Bürger nicht ernst nimmt. 
"BONN PACKT´S AN" IST ALS ONLINE-

 

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Stephan Eisel

„Bonn packt´s an“ endgültig im Abseits

Bonner Online-Haushalt scheitert auch im vierten Versuch

Obwohl schon bei den früheren Verfahren die Beteiligung der Bürger katastrophal gering war, führte die Stadt Bonn im Herbst 2016 zum vierten Mal nach 2011, 2012 und 2014 einen „Online-Bürgerhaus­halt“ durch. Unter der Überschrift „Bonn packt´s an“ waren über 220.000 wahlberechtigte Bonner Bür­ger auf­gefordert, Sparvorschläge zum kommunalen Haushalt zu unterbreiten und per Online-Voting zu bewer­ten.

Trotz eines beachtlichen Werbeaufwands endete das Verfahren im Oktober 2016 nach vier Wochen mit le­diglich 71 abgegebenen Stimmen zum am meisten beachteten Sparvorschlag. Man kann das nur als Deba­kel bezeichnen.

Vergleichbare Städte wie Solingen, Frankfurt oder Freiburg haben solche internetbasierten „Bürgerhaushal­te“ schon nach dem ersten Versuch wegen zu geringer Beteiligung eingestellt. In ganz Deutschland haben bisher nur etwa 100 von über 14.000 Städte und Gemeinden mit diesem Verfahren ex­perimentiert.

Dass Bonn trotz der in den Vorjahren schon verschwindend geringen Beteiligung einen kostspieligen vier­ten Anlauf unternahm, hat ausschließlich politische Gründe. Im Rat hielten die Grünen an dem Pro­jekt fest und ihre Koalitionspartner CDU und FDP widersetzten sich dem nicht. Für die Teilnahme am „Online-Bürger­haushalt“ reicht es aus, sich mit einer e-mail-Adresse zu registrieren. Pro­blemlos kann dabei die gleiche Person mit verschiedenen e-mail-Adressen, also mehrfach teilnehmen. Außerdem ist nicht über­prüfbar, ob die Teilnehmer aus der jeweiligen Kommune kom­men oder Orts­fremde sind.

Eine unabhängige Evaluierung der vier Bonner Online-Bürgerhaushalte fand bisher nicht statt. Bei zwei der vier Verfahren gibt es wenigstens einen „Abschlussbericht“, den die mit der Durchführung des internetba­sierten Haushalts beauftragte Firma Zebralog erstellte. Sie kann allerdings bei der kriti­schen Prü­fung des ei­genen Verfahrens wegen eigener kommerzieller Interessen nicht als unbefangen gelten.

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit haben diese Abschlussberichte die zuvor veröffentlich­ten Teilnehmerzahlen in erheblichem Maß revidiert. So wurde im April 2012 die von der Stadt 2011 mehr­fach öffentlich behauptete Beteiligung von „12.715 Bonnern“ auf 11.116 „registrierte Nutzer mit aktiver Beteili­gung", also um mehr als zehn Prozent nach unten korrigiert. Zudem wurde die Teilnehmer­zahl um 338 Mehrfachregistrierungen „bereinigt". Das betraf allerdings lediglich Fälle von mehr als fünf unterschiedli­chen Mail-Registrierungen vom glei­chen (privaten) Internetzugang (IP-Adresse) bei gleich­zeitig hoher Pass­wortgleichheit. Wer also sich also mit weniger als fünf unterschiedlichen Mail-Adressen unter der gleichen IP-Adresse einloggte oder für verschiedene mail-Adressen unter­schiedliche Passwör­ter be­nutzte, wurde als Mehrfachteilnehmer nicht erfasst.

Außerdem vermerkt der Bericht, dass 2011 bei 1.705 Registrierungen ausdrücklich ange­geben worden war, nicht in Bonn zu wohnen. In weiteren 1.871 Fällen wurden keine Angaben zum Wohnort gemacht. Aus­drücklich Ortsfremde (1.705) und mit hoher Toleranzgrenze eingeräumte Mehrfachregistrierun­gen (328) machten bei „Bonn packt´s an“ 2011 also fast 20 Prozent der zuvor schon um zehn Prozent nach un­ten korrigierten Teilnehmerzahl aus.

Beim Abschlussbericht für die zweiten Aktion im Juli 2012 wurden ebenfalls – wiederum öffentlich unbe­achtet - die Zahl der registrierten e-mail Adressen von den in städtischen Pressemittei­lungen ange­gebenen 1.740 um zehn Prozent nach unten auf 1.556 korrigiert. Nach dem Wohnort der Teilnehmer wur­de nicht mehr gefragt und der Missbrauch durch Mehrfachregistrierungen nicht mehr untersucht. Statt­dessen wur­de erhoben, dass sich ein Drittel der Teilnehmer organisierten Interessengruppen zuord­nete. Für die dritte Aktion 2014 liegt kein entsprechender Abschlussbericht vor.

Die Angaben der durchführenden Firma offenbaren insgesamt eine äußerst geringe Beteiligungsquote.

Die Angaben der durchführenden Firma offenbaren insgesamt eine äußerst geringe Beteiligungsquote.

Aktions-zeit­raum

Veröffentlichte Registrierungen zum Aktionsen­de

Von der durchfüh­renden Firma kor­rigierte Teilneh­merzahl

Abzüglich der nach eige­nen Anga­ben Orts­fremden

Abzüglich der von der durch­führenden Fima eingeräumte Mehrfachregistrierung­en

Bereinigte Zahl der
Bon­ner Teil­nehmer
(in % der
Wahlber­echtigten)

18.01.-16.02.2011

12.715

11.116
(- 12,5%)

1.705
(15,3%)

328
(2,9 %)

9.083
(4,01%)

12.04.-10.05.2012

1.740

1.556
(- 10,5 %)


15%=233

3%=46

1.277
(0,5%)

14.11.-12.12.2014

4.487

4.039
(- 10%)

15%=605

3% =121

3.313
(1,4%)

08.09. –
06.10. 2016

1.512

1.361
(- 10 %)

15%=204

3%=40

1.117
(0,5%)

Zum Vergleich: Die Bonner Ratsparteien haben mehr als 10.000 Mitglieder, in 280 Bonner Sportvereinen sind über 70.000, in 60 Kulturvereinen ca. 40.000 Bürger organisiert und die Bonner Stadtver­waltung hat ca. 5.000 Mitarbeiter, die von Sparvorschlägen teilweise unmittelbar betroffen sind und auch am Arbeits­platz am Online-Verfahren teilnehmen konnten.

Von den 2016 registrierten 1.117 Bonner Teilnehmern haben lediglich 31 insgesamt 55 Sparvorschläge eingereicht. 14 dieser Vorschläge stammten von nur zwei Teilnehmern.

Noch deutlicher wird die fehlende Legitimation solcher Online-Verfahren, wenn man die Stimmen­zahl be­trachtet, die auf einzelne Sparvorschläge entfallen. Dabei suggeriert der von den Initiatoren gewähl­te Be­griff „Bestenliste“ eine besondere Legitimation für 25 Vorschläge, die einen in absoluten Stimmen gemesse­nen besonders deutlichen Un­terschied von JA/NEIN-Stimmen aufzeigen. Der im Verfahren 2016 am meis­ten unterstützte Vorschlag erhielt bei nur 71 abgegebenen Stimmen lediglich 52 JA-Stimmen. Meist blieb es bei der „Bestenliste“ bei einstelligen Zustimmungsraten. Schon die Zahl der ehrenamtli­chen kommunalpolit­ischen Mandatsträger liegt 2016 also weit höher als die Unterstützung für eingestellt­e Spar­vorschläge.

Übrigens: Im Juni 2011 musste die Bonner Stadtverwaltung gegenüber dem Rat einräumen, dass „Bonn packt´s an“ schon für einen Durchgang mehr als 300.000 Euro kostete (Honorar Firma Zebralog 72.620 Euro, Wer­bemaßnahmen 26.200 Euro, Personalkosten für eigene Stellen in der Ver­waltung 82.308 Euro und Personal­kosten für die Gesamtverwaltung 120.759 Euro). Seitdem wurden die Kosten nicht mehr um­fassend offengelegt, dürften aber bei den vier bisher durchgeführten Verfahren insgesamt die Millionen­grenze überschritten haben.

Das krampfhafte Festhalten an derartigen Online-Verfahren auch wenn sie von den Bürgern fast geschlos­sen durch Nicht-Beteiligung abgelehnt werden, schadet tatsächlicher Bürgerbeteiligung, weil es die Bürger nicht ernst nimmt. Hinzu kommt die grundsätzliche Problematik, dass durch Online-Abstim­mungen ein An­schein demokratischer Legitimität erweckt wird, der sich angesichts der verschwindend geringen Beteili­gung nicht seriös begründen lässt. Wo das Internet im politischen Prozess ge­nutzt wird muss zur Technikfaszination deshalb zwingend auch die Demokratiekompetenz kommen.

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