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Stimmen zum "großen" Beethoven-Buch

Christine Siegert: Ein neues Standardwerk zu Beethovens Bonner Jahren

Mit Beethoven. Die 22 Bonner Jahre hat Stephan Eisel dem Jubilar ebenso wie uns ein gewichtiges Geschenk zum 250. Geburtstag vorgelegt. Pünktlich zu Beethovens Tauftag ist das 560 Seiten starke Buch im Verlag Beethoven-Haus erschienen. Als Verlagsleiterin ist es mir eine große Freude, im Folgenden das Buch genauer vorzustellen.

In acht umfangreichen Kapiteln schlägt der Autor einen großen Bogen von „Beethovens Bonn“, das heißt dem historischen Bonn der Beethoven-Zeit mit seiner Bevölkerungsstruktur einer kurfürstlichen Residenzstadt, bis hin zu „Bonns Beethoven“ – ein Ausblick, der der Bonner Erinnerungskultur von Beethovens endgültigem Weggang 1792 bis in die Gegenwart gewidmet ist. Vorangestellt sind Reflexionen zu der Frage, wie man heute sinnvoll „Über Beethoven in Bonn“ schreiben kann. Stephan Eisel lässt die Quellen selbst sprechen und wählt dafür eine Fülle von verschiedenen Quellentypen aus, die sich gegenseitig ergänzen und bespiegeln: neben historischen Dokumenten insbesondere Reiseberichte, Zeitungsartikel, Tagebucheinträge, persönliche Erinnerungen und Briefe, aber auch Stammbuchblätter, Musikhandschriften und -drucke, Gedichtpublikationen und andere künstlerische Ausdrucksformen.

Von den zentralen sechs Kapiteln widmet Eisel die ersten drei der Entwicklung der Persönlichkeit Beethovens in ihren Kontexten („Die Beethovens in Bonn“, „Beethovens Bildung zur Persönlichkeit“ und „Von Bonn nach Wien“), die zweiten drei dem Musiker Beethoven vor dem Hintergrund des Bonner Musiklebens („Beethovens musikalische Ausbildung bis 1792“, „Der Bonner Musiker“ und „Der Bonner Komponist“). Im Folgenden möchte ich auf einige Abschnitte hinweisen, die ich besonders gerne gelesen habe – zugegebenermaßen eine sehr persönliche Auswahl.

Der Abschnitt „Die idyllische Residenzstadt“ (S. 12–22) wartet mit plastischen Schilderungen von Beethovens Zeitgenossen, darunter der englische Reiseschriftsteller Henry Swinburne, Wilhelm von Humboldt und Ernst Moritz Arndt, über Bonn auf: die engen Gassen entstehen ebenso vor unseren Augen wie der Rhein mit „seinem Gewimmel von Fahrzeugen und seinen lieblichen Ufern“ (Arndt), die Gärten und Weinberge oder die prachtvolle erzbischöfliche Residenz. Eisel zeigt, welchen Personengruppen und Personen Beethoven in Bonn begegnete: dem zahlreichen Hofstaat, der Geistlichkeit, Handwerkern unterschiedlichster Professionen, Musikern, Künstlern und Wissenschaftlern und vielen anderen.

An „Das Wendejahr 1784“ (S. 118–127) ist die Perspektive bemerkenswert, unter der Eisel eine Naturkatastrophe (das „Jahrtausendhochwasser“ am Rhein) und politische Umbrüche (den Regierungswechsel von Kurfürst Maximilian Friedrich und seinem fast unumschränkt herrschenden Minister Caspar Anton von Belderbusch zu dem habsburgischen Erzherzog Maximilian Franz) engführt. Unter „Erste Wien-Reise“ (S. 128–144) erfahren wir nicht nur zahlreiche Details über das Wiener Musikleben im Winter 1787, sondern auch Wissenswertes über das Musikleben in den Städten, in denen Beethoven einen Zwischenstopp einlegte. Die Reise mit ihren vielfältigen Eindrücken scheint dabei für Beethoven ebenso wichtig gewesen zu sein wie der Aufenthalt in der Kaiserstadt selbst.

Unter der Überschrift „Bonner in Wien“ (S. 224–259) breitet Eisel das enge und umfangreiche Netzwerk von Bonnern insbesondere aus Beethovens Generation in der Kaiserstadt aus. Er berichtet über gegenseitige Besuche, über das gemeinsame Musizieren und über die Gemeinschaft stiftende Funktion des Bönnschen Dialekts sowie über Werke, die Beethoven in Wien ehemaligen Bonnern widmete, seinen Schüler Ferdinand Ries und seine Wirtschaftsbeziehungen zum Verlag des ehemaligen Orchesterkollegen Nikolaus Simrock. Dass ein Spätwerk wie die Neunte Symphonie mit der Ode An die Freude ihre Wurzeln in der Bonner Zeit hat (S. 417–430), etabliert eine weitere Verbindung zwischen den beiden Lebensphasen Beethovens. Eisel kann plausibel machen, dass der junge Beethoven über seinen Lehrer Christian Gottlob Neefe mit Schillers Gedicht in Berührung kam – ein wichtiger Hinweis auf die Bedeutung, die die Aufklärung in Bonn hatte.

Last but not least erfreut die Tatsache, dass dem ausübenden Musiker Beethoven – dem Pianisten, Organisten und Orchestermusiker – ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Das praktische Musizieren legte die Basis für die zahlreichen Kompositionen, die in Bonn entstanden und die sich ausgehend vor allem von Klavierkompositionen zu einer reichen „Besetzungs- und Formenvielfalt“ (S. 396–417) entwickelten.

Nachdem der damalige Ordinarius für Musikwissenschaft der Universität Bonn und spätere Leiter des Beethoven-Archivs, Ludwig Schiedermair, 1925 eine umfangreiche Monografie zu Beethovens Bonner Zeit vorgelegt hatte, die er im Folgenden der nationalsozialistischen Ideologie anpasste, war eine umfangreiche Darstellung des prägenden Lebensabschnitts von Beethoven seit langem ein wichtiges Desiderat. Stephan Eisel hat nun ein Buch vorgelegt, das diese Lücke zu füllen vermag.

Die gewählte Form der Darstellung lässt uns eintauchen in Beethovens Zeit. Dies gilt umso mehr, als Bonn bis heute geprägt ist durch zahlreiche historische Gebäude, darunter Beethovens Geburtshaus sowie das ehemalige kurfürstliche Schloss, das heutige Hauptgebäude der Universität, durch das Rheinufer mit seinem Blick auf das Siebengebirge, die Godesberger Redoute sowie durch das Beethoven-Denkmal auf dem Münsterplatz. Insofern macht Stephan Eisel das historische Bonn und seine Protagonistinnen und Protagonisten, insbesondere natürlich Beethoven, für uns auf neue Weise lebendig.

Das Buch ist flüssig geschrieben und gut lesbar und wird durch ein Personen- und Werkregister erschlossen. Die reiche Bebilderung ergänzt Eisels Ausführungen; längere Quellenzitate werden typografisch hervorgehoben. Damit wendet sich der Band an alle, die sich für Beethoven und/oder Bonner Geschichte interessieren. Er kann über den Shop des Beethoven-Hauses (0228-98175-37, shop@beethoven.de, www.beethoven.de/shop) sowie über den Buchhandel bezogen werden.

 

Stephan Eisel: Beethoven. Die 22 Bonner Jahre (Veröffentlichungen des Beethoven-Hauses Bonn: Für Kenner und Liebhaber, Neue Folge 3), Bonn: Verlag Beethoven-Haus, 2020. X und 550 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen, ISBN: 978-3-88188-163-0, 34,90 €.

17.12.2020: Luc Boentges, Radio 100,6 in Luxemburg

Fazit:
“ ‘Beehtoven. Die 22 Bonner Jahre’ ist ein Buch, das beim Lesen einfach Spaß macht. Durch die optisch ansprechende Präsentation mit ihren vielen hervorgehobenen Zitaten und Illustrationen hat man das Gefühl in Beethovens Zeit einzutauchen. Darüber hinaus vermittelt einem die groß angelegte Kontextualisierung der verschiedenen Themen das Gefühl sich in Beethoven und seine Zeit hineinversetzen zu können. Allerdings geht das Buch manchmal etwas zu sehr ins Detail, was teilweise vom Thema ablenkt. Nichtsdestotrotz ist es eine Publikation, die durchaus empfehlenswert ist.

 

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