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Stephan Eisel
Politik nach Meinungsumfragen
Wenn „Bürgerbeteiligung“ zur Verantwortungsflucht missbraucht wird
„Es sollte das Glück und der Ruhm eines Volksvertreters sein, in engster Verbindung, völliger Übereinstimmung und rückhaltlosem Gedankenaustausch mit seinen Wählern zu leben. … Doch seine unvoreingenommene Meinung, sein ausgereiftes Urteil, sein erleuchtetes Gewissen sollte er weder euch, noch irgendeinem Menschen oder irgendeiner Gruppe von Menschen aufopfern … Euer Abgeordneter schuldet euch nicht nur seinen ganzen Fleiß, sondern auch einen eigenen Standpunkt; und er verrät euch, anstatt euch zu dienen, wenn er ihn zugunsten eurer Meinung aufopfert.“
Edmund Burke (brit. Abgeordneter und Staatsphilosoph) 1774 in einer Rede an die Wähler von Bristol
Mitte Juni sollen 2500 Bonner Bürger in einer repräsentativen telefonischen Meinungsfrage über das künftige Bäderkonzept der Bundesstadt entscheiden. „Zur Wahl“ - so heisst es in der offiziellen Bürgerinformation der Stadtverwaltung – stehen zwei Modelle: „Das Ergebnis der Befragung wird Grundlage der Ratsentscheidung zur Zukunft der Bonner Bäderlandschaft.“ Der Bonner Stadtrat hat damit – soweit bekannt – als erstes gewähltes Parlament in Deutschland seine Entscheidung direkt an das Ergebnis einer Meinungsumfrage gekoppelt. Dafür wurde die Überschrift „Bürgerbeteiligung“ gewählt.
Eigentlich gehört es zur Standardkritik an politischen Entscheidungsträgern, dass sie „Politik nach Meinungsumfragen“ machen, sich damit in die Abhängigkeit von sachlich wenig fundierten Tagesstimmungen begeben und so ihrer vom Wähler übertragenen Verantwortung nicht gerecht werden.
Im vorliegenden Fall hatten sich die kommunalpolitisch Verantwortlichen in einer jahrelangen Debatte nicht in der Lage gesehen, einen Beschluss zu fassen. Jetzt soll die komplexe Materie per Meinungsumfrage entschieden werden. Die Grundinformationen dazu werden in einer achtseitigen Zeitungsbeilage dargestellt. Im Internet werden über 60 Seiten zur Lektüre angeboten.
Aber ist eine solche Meinungsumfrage wirklich ein seriöses Angebot der Bürgerbeteiligung und ist tatsächlich davon auszugehen, dass zufällig ausgewählte Teilnehmer einer Telefonumfrage sich mit den komplexen Entscheidungsgrundlagen vertraut gemacht haben ? Den Bürgern wird hier ein Votum abverlangt, das diejenigen nicht treffen wollen, die doch eigentlich gewählt wurden, um sich mit der Materie zu befassen und auf dieser Grundlage Entscheidungen zu treffen.
In Bonn wurde dieser Weg der Entscheidungsflucht durch vermeintliche „Bürgerbeteiligung“ seit der letzten Kommunalwahl bereits zum dritten Mal eingeschlagen. Im Herbst 2009 war ein Oberbürgermeister mit nur 40,9 Prozent der abgegebenen Stimmen gewählt worden (= 52.000 Stimmen von 233.000 wahlberechtigten Bürgern). Mit der Amtsübernahme kündigte er „neue Formen“ der Bürgerbeteiligung an, bei denen es sich allerdings um das alte Konzept plebiszitärer Abstimmungen handelt.
So kam es 2011 zum ersten plebiszitären Versuch in Gestalt eines „Online-Bürgerhaushalts“. 2011 wurden dafür 11.116 e-mail-Anmeldungen registriert, wobei nicht nachzuprüfen war, wie viele Bonner Bürger sich hinter dieser Zahl verbargen. Es war namlich problemlos möglich, sich sowohl mit mehreren e-mail-Adressen zu registrieren als auch als Nicht-Bonner abzustimmen.Die Stadtverwaltung musste einräumen, dass 30 Prozent der Teilnehmer entweder nicht in Bonn wohnten oder keine Angaben zum Wohnort gemacht haben. Bei jeweiligen Sparvorschlägen wurden in 95 Prozent der Fälle weniger als fünfhundert Stimmen abgegeben. In der Bürgerschaft stieß das Verfahren, das einen Internetzugang und Zeitaufwand von mindestens zwei Stunden voraussetzte, auf breite Kritik.
Trotzdem wurde der „Online-Bürgerhaushalt“ 2012 zum zweiten Mal durchgeführt. Jetzt wurden nur noch noch 1.740 e-mail-Adressen registriert. Selbst wenn man dahinter ausschliesslich Bonner Bürger vermutet, lag die Beteiligung damit bei 0,7 Prozent der Abstimmungsberechtigten. Schon die Zahl der ehrenamtlichen kommunalen Mandatsträger liegt höher als die Voten bei allen abgestimmten Sparvorschlägen. Den städtischen Steuerzahler hatte das Online-Experiment ca. eine halbe Million Euro gekostet. Das Verfahren war endgültig gescheitert.
Die jetzt beschlossene telefonische Meinungsumfrage zum Bäderkonzept 2013 ist die Reaktion auf dieses Scheitern. Der Bonner Oberbürgermeister will zudem „bei Landes- und Bundestagswahlen Bürger zu kommunalen Sachverhalten in Form einfacher „Ja oder nein“-Fragen“1 entscheiden lassen. Einmal abgesehen davon, dass diese Reduzierung auf “Ja oder Nein“ den meist komplexen Sachverhalten nicht gerecht wird und differenzierte Lösungen ausschließt, gehen solche plebiszitären Vorstellungen auch vom ständig politisierten Bürger aus. Sie ignorieren das Recht der Bürger auf Delegation und privilegieren gut organisierte Interessengruppen, die ihre Klientel leichter mobilisieren können.
Es ist kein Zufall, dass bei Bürgerentscheiden die Beteiligung durchgängig um ca. 25 Prozent niedriger liegt als bei den entsprechenden Wahlen. Meist nehmen allenfalls ein Drittel der Wahlberechtigten teil. Zu suggerieren, von „direkter Demokratie“ ginge höhere Legitimität als von der repräsentativen Demokratie ist irreführend. Tatsächlich ignoriert diese falsche Behauptung die offenkundig geringe Akzeptanz „direktdemokratischer“ Verfahren bei den Bürgern.
2011 ergab eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung2, dass 94 Prozent der Bundesbürger in Wahlen die beste Form der politischen Beteiligung sehen. Volksentscheide oder Abstimmungen über Infrastrukturprojekte kommen auf nur 78 bzw. 68 Prozent Zustimmung. 39 Prozent der Bundesbürger wollen sich über Wahlen hinaus ausdrücklich nicht am politischen Prozess beteiligen. Sie nehmen ihr Recht der Delegation ihrer Mitwirkungsrechte auf von ihnen gewählte Vertreter wahr. Dies ist vom Grundgesetz ebenso und gleichrangig geschützt wie das Recht der Beteiligung über Wahlen hinaus.
Dabei kennt die freiheitliche Demokratie viele Formen der Bürgerbeteiligung. Sie reichen von der gesetzlich vorgeschriebenen Bürgerbeteiligung im Planungsrecht über die Möglichkeiten zum Engagement in Verbänden, Parteien und Bürgerinitiativen bis hin zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs bei Bürgerversammlungen oder mit Petitionen, Leserbriefen und Unterschriftensammlungen sowie der Wahrnahme des Demonstrationsrechts.
Trotz dieser Vielfalt der Mitwirkungsmöglichkeiten verengt sich die öffentliche Debatte oft eindimensional auf die Forderung nach häufigeren Plebisziten. Politische Mandatsträger verfallen übrigens besonders gerne auf diesen Ausweg, wenn es um unangenehme Entscheidungen geht. So wird das Etikett „Bürgerbeteiligung“ zur Ausrede für die Flucht aus der politischen Verantwortung. Gewählte Mandatsträger versuchen zu vermeiden, wofür sie gewählt wurden: Entscheidungen zu treffen anstatt ihnen auszuweichen!
Dazu gehört natürlich der ständige Dialog mit den Bürgern, um vor der Entscheidung alle Argumente und Sichtweisen zu kennen: Aber die Entscheidungsverweigerung zu Lasten der Bürger kann für sich nicht in Anspruch nehmen, Bürgerbeteiligung zu sein.
Die Presse zum Buch:
"unbedingt lesenswert" + "verfasst von einem Mann mit genauem Blick in die Kulissen der Macht" + "ausgewogen" + "anschaulich" + "persönlich, direkt, ganz nah dran" + "schildert Kohls Charakter-züge" + "spannende Hinter-gründe" + "keine undifferen-zierte Schwärmerei"
Ausführliche Pressestimmen zum Buch finden Sie hier
die Grünen und die von ihnen geführte Verwaltung, um die Einspurigkeit auf der Adenauerallee durchzusetzen. So wurde gegenüber Rat und Öffentlichkeit fälschlicherweise behauptet, es gebe rechtliche Vorschriften, die die Einspurigkeit der Adenauerallee erzwingen würden. Tatsächliche gibt es diesen rechtlichen Zwang nicht, sondern es geht um eine politische Entscheidung.