Leserbrief von Dr. Stephan Eisel am 24. April 2024 im General-Anzeiger Bonn
Es ist manchmal traurig, wie in Teilen der ansonsten exzellenten Universität Bonn meist in Folge des unseligen Bologna-Prozesses mit herausragendem akademischen Erbe umgegangen wird: So wurde mit Heinrich Breidenstein 1826 an der Bonner Universität der erste musikwissenschaftliche Lehrstuhl in der Universitätsgeschichte des deutschsprachigen Raums eingerichtet. Als eines der ersten an einer deutschen Universität wurde 1919 das musikwissenschaftliche Seminar gegründet, das gerade in der Beethovenforschung eine herausragende Rolle einnahm. 2010 wurde als Resultat modischer Reformorgien daraus ein „Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft“. Die Kerndisziplin geriet in die Gefahr der Randnotiz. Heute hat die Universität noch eine „Abteilung für Musikwissenschaft und Sound Studies“. Ganz ähnlich verlief die Geschichte der Politischen Wissenschaft. 1959 kam Karl Dietrich Bracher als Professor nach Bonn, dessen Habilitation 1955 die erste im Fach Politikwissenschaft in Deutschland überhaupt war. Das von ihm gegründete Bonner Seminar für Politische Wissenschaft spielte in der Politikwissenschaft und -beratung jahrezehntelang eine national und international herausragende Rolle. 2006 wurde es fatalerweise mit der Soziologie fusioniert und auch hier geriet die Hauptsache in die Gefahr einer Nebensächlichkeit. Das zeigte sich nicht nur daran, dass Kleingeister nach dessen Tod 2016 die Benennung des Instituts nach seinem Gründer Bracher verhinderten, sondern wird auch in der aktuellen Debatte deutlich. Als Absolvent sowohl des politik- als auch des musikwissenschaftlichen Seminars verfolge ich wie viele andere Alumni diese Entwicklung mit Bedauern und Sorge.
Dr. Stephan Eisel, Bonn
Stephan Eisel
In memoriam Karl Dietrich Bracher
Am 13. März 2022 wäre Karl Dietrich Bracher 100 Jahre alt geworden. Er war mein akademischer Lehrer und Doktorvater. Als erster Inhaber eines Lehrstuhls für Wissenschaft von der Politik und Zeitgeschichte etablierte er die Politikwisssenschaft und Zeitgeschichte in Deutschland. Seine Forschungen zum Zusammenbruch der Weimarer Republik, der NS-Diktatur, totalitären Idelogien und den Grundlagen freiheitlicher Demokratie bleiben Standardwerke. Er verstarb am 19. September 2016.
Die freiheitliche Demokratie vor totalitären Ideologien und autoritären Bedrohungen schützen – das war der Kristallisationspunkt der Arbeit des Zeithistorikers und Politikwissenschaftlers Karl Dietrich Bracher, der am 19. September 2016 im Alter von 94 Jahren in Bonn verstorben ist. Er war als Gründer und langjähriger Direktor des Seminars für Politische Wissenschaften der Universität Bonn der prägende Lehrer der Bonner Republik.
Für Karl-Dietrich Bracher war das „Lernen aus der Geschichte“ entscheidende Leitlinie und er war einer der ersten, der „Zeitgeschichte“ als wissenschaftliche Disziplin etablierte. Das ist umso bemerkenswerter als er zunächst unmittelbar nach der Rückkehr aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft Alte Geschichte studierte und 1948 in Tübingen mit der Arbeit „Verfall und Fortschritt im Denken der frühen römischen Kaiserzeit“ promovierte wurde. Nach einem zweijährigen portgraduierten Aufenthalt an der Havard University in den USA war Bracher von 1950 bis 1955 stellvertretender Direktor des Instituts für Politische Wissenschaft an der FU Berlin und Lehrbeauftragter an der neuen Deutschen Hochschule für Politik.
Brachers 1955 veröffentlichte Habilitationsschrift „Die Auflösung der Weimarer Republik – Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie“ ist bis heute ein Standardwerk. Es war in Deutschland die erste Habilitation im Fach Politische Wissenschaft und Neure Geschichte. Aus der Analyse des Scheiterns der Weimarer Demokratie folgte für ihn der Einsatz für den Erfolg der Demokratie des Grundgesetzes. Damit setzte er einen entscheidenden Maßstab für die deutsche Politikwissenschaft und prägte viele politische Akteure. Karl Dietrich Bracher war in vieler Hinsicht der Lehrer der Bonner Republik.
Dabei richtete er immer wieder der den Blick auf die Gefahren für die freiheitliche Demokratie insbesondere durch totalitäre Ideologien. Bracher war entscheidender Impulsgeber der modernen Totalitarismusforschung. Ihr Wesenskern ist die Einsicht, dass die offene Gesellschaft gegen Bedrohungen von Rechts- und Linksextremismus gleichermaßen geschützt werden muss und Demokraten jedwedem ideologischen Wahrheitsanspruch entgegentreten müssen. Bracher plädierte nachdrücklich für die wehrhafte Demokratie. Dabei maß er auch der politischen Bildung eine wichtige Rolle zu.
1959 kam Karl Dietrich Bracher als Professor für Wissenschaft von der Politik und Zeitgeschichte nach Bonn und baute das Seminar für Politische Wissenschaft auf. Es wurde der wichtigste Ausbildungsort für Mitarbeiter von Parlament und Regierung in Bonn. Bracher verband dabei die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Arbeit mit ihrer Praxisorientierung. Die Auseinandersetzung mit der politischen Ideengeschichte war für ihn ebenso Fundament der Ausbildung wie die zeitgeschichtliche Analyse von Innen- und Außenpolitik.
Als Wissenschaftler von Weltrang erhielt Karl Dietrich Bracher viele Angebote zum Wechsel ins Ausland. Aber er blieb Bonn treu und war für Bundesregierungen und Bundeskanzler unterschiedlicher Parteien immer wieder gefragter Berater. Gegenüber seinen Studenten war er immer offen und freundlich, ermunterte zur Diskussion und förderte den Respekt vor unterschiedlichen Meinungen nach dem Grundsatz „agree zu disagree“. Einheitsideologen und Identitätstheoretiker stießen auf seinen Widerspruch, er wollte wie sein Lehrer Ernst Fraenkel die plurale Gesellschaft. Dabei blieb er immer neugierig über die eigenen Fachgrenzen hinaus – nicht zuletzt auch als passionierter Pianist der Kunst verbunden.
Karl Dietrich Bracher verstarb am 19. September 2016. Die Bundesrepublik Deutschland verlor mit ihm eine prägende Gestalt ihrer erfolgreichen Geschichte. Sein geistiges Erbe bleibt hoffentlich eine Ermutigung für möglichst viele, die sich für unsere freiheitliche Demokratie engagieren. Denn wie Bracher als entscheidende Lehre aus dem Zusammenbruch der Weimarer Republik immer wieder in Erinnerung rief: Ohne engagierte Demokraten kann die Demokratie nicht überleben.
Die Presse zum Buch:
"unbedingt lesenswert" + "verfasst von einem Mann mit genauem Blick in die Kulissen der Macht" + "ausgewogen" + "anschaulich" + "persönlich, direkt, ganz nah dran" + "schildert Kohls Charakter-züge" + "spannende Hinter-gründe" + "keine undifferen-zierte Schwärmerei"
Ausführliche Pressestimmen zum Buch finden Sie hier
die Grünen und die von ihnen geführte Verwaltung, um die Einspurigkeit auf der Adenauerallee durchzusetzen. So wurde gegenüber Rat und Öffentlichkeit fälschlicherweise behauptet, es gebe rechtliche Vorschriften, die die Einspurigkeit der Adenauerallee erzwingen würden. Tatsächliche gibt es diesen rechtlichen Zwang nicht, sondern es geht um eine politische Entscheidung.