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DER FALL AIWANGER HAT IN DEN LETZTEN

Wochen die politische Debatte in Deutschland beherrscht. Ausgehend von einem Flugblatt im Nazi-Jargon im Schulranzen des 17-jährigen Schülers gefunden wurde, wurde um die Frage gestritten, ob er heute als stv. Ministerpräsident in Bayern im Amt bleiben könne. Aus dieser Auseinandersetzung gilt es Lehren zu ziehen.
DER FALL AIWANGER HAT IN DEN LETZTEN

 

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Stephan Eisel

Lehren aus dem Fall Aiwanger

Im Schuljahr 1987/88 ist am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg ein Flugblatt aufgetaucht, das nicht nur antisemitisch, sondern insgesamt im schlimmsten Nazi-Jargon geschrieben ist. „Ein oder wenige Exemplare“ des Flugblattes wurden im Schulranzen des damals 17-jährigen Hubert Aiwanger gefunden, der heute für die „Freien Wähler“ Wirtschaftsminister und stv. Ministerpräsident in Bayern ist. Hubert Aiwanger wurde seinerzeit vom „Disziplinarausschuss“ der Schule dafür zur Rechenschaft gezogen. 

Die „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlichte offenbar nach Hinweis eines ehemaligen Lehrers dazu 35 Jahre später, sechs Wochen vor der bayerischen Landtagswahl, unter der Überschrift „Aiwanger soll als Schüler antisemitisches Flugblatt verfasst haben“ einen längeren Artikel, mit dem der Vorgang öffentlich gemacht wurde. Auf  Anfrage der Zeitung vor der Veröffentlichung ließ Aiwanger  seinen Pressesprecher die Vorwürfe pauschal zurückweisen und mit juristischen Konsequenzen drohen. Erst einen Tag nach der Veröffentlichung des Berichts gab sich sein Bruder Helmut Aiwanger als Autor zu erkennen.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit ergeben sich meines Erachtens aus diesen Vorgängen folgende Lehren:

1) Das in der Causa Aiwanger an seiner Schule aufgetauchte Nazi-Flugblatt ist furchtbar und hat richtigerweise eine öffentliche Diskussion um Aiwangers Rolle dabei ausgelöst, denn es wurde auch in seinem Schulranzen gefunden.

2) Dass Herr Aiwanger auf Anfrage der „Süddeutschen Zeitung“ die Autorenschaft des Flugblatts offenbar nicht unmissverständlich dementiert, sondern wohl nur pauschal mit juristischen Konsequenzen gedroht hat, war die falsche Reaktion. Auch sein Bruder hätte sich schon damals und nicht erst nach der Veröffentlichung als Autor zu erkennen geben müssen.

3) Dass der Vorgang von allen Seiten sofort parteipolitisch instrumentalisiert wurde, wurde dem Ernst des Themas nicht gerecht und hat eine vorbehaltlose Auseinandersetzung damit sehr erschwert. Problematisch ist dabei auch, dass die „Freien Wähler“ in Bayern offenbar nur auf eine Person fixiert sind.

4) Dass die „Süddeutsche Zeitung“ ihren Artikel sechs Wochen vor der Landtagswahl veröffentlichte, dabei aber parteipolitische das Interesse des Hinweisgebers (der wohl für die SPD aktiv ist) entweder mangels Recherche nicht kannte oder nicht offenlegte, ist ein Verstoss gegen journalistische Seriosität. Interessanterweise hat „Der Spiegel“ die Veröffentlichung des angebotenen Materials wohl abgelehnt.

5) Dass Aiwanger sich zunächst nur als „Opfer einer Schmutzkampagne“ darstellte und erst danach öffentliche Reue für sein Verhalten als Schüler zeigte, erweckte den Eindruck, er nehme die Vorgänge von damals nicht wirklich ernst. Dieses Verhalten war falsch und war nicht angemessen.

6) Die Selbstgerechtigkeit, mit der sich viele über das Verhalten eines 17-jährigen Schülers äußerten, war und ist verstörend. Das gilt nicht zuletzt wegen seiner herausgehobenen Stellung für Bundeskanzler Scholz: Er erinnert sich nicht, welche Gespräche er vor 6 Jahren als 60-Jähriger in der Warburg-Affäre führte, und kritisiert zugleich Erinnerungslücken des Schülers Aiwanger zu Vorgängen vor 35 Jahren.

7) Einseitigkeit in der nachträglichen Bewertung des Verhaltens junger Menschen schadet der Sache: Ob die Zugehörigkeit zur Waffen-SS des 17-jährigen Günter Grass, die Tätigkeit des Vertrauten von Nancy Faeser im BMI Sven Hüber als 23-jähriger Politoffizier bis 1989 bei den DDR-Grenztruppen, ob der mit Gewalt gegen Polizisten vorgehende 27-jährige Joschka Fischer oder Nazi-Flugblätter im Schulranzen des 17-jährigen Hubert Aiwanger – jeder dieser Fälle verdient eine Einzelbetrachtung ohne vereinfachende Rechts-Links-Schemata.

8) Dass der zuständige Lehrer (der offenbar erst jetzt die „Süddeutsche Zeitung“ informiert hat) es damals als Reaktion auf das Nazi-Flugblatt bei  einem Aufsatz als „Strafe“ belassen hat, wirft viele Fragen auf.  Einen Verweis hat es offenbar nicht gegeben. Offenbar wurde mit Polizei gedroht, die Eltern aber über den Vorgang nicht informiert. Da passt vieles im damaligen Verhalten der verantwortlichen Erwachsenen (auch der Schulleitung) nicht zusammen.

9) Zur Entscheidung von Ministerpräsident Söder, Aiwanger im Amt zu belassen, ist ohne eigene Teilnahme an den persönlichen Gesprächen eine Bewertung schwierig. Sie wäre einfacher, hätte sich Söder nicht alternativlos auf eine Koalition mit den „Freien Wählern“ festgelegt. Für mich ist wichtig, wie z. B. die Vorsitzende der „Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern“ Charlotte Knobloch (geb. 1932), die 2006-2010 auch Vorsitzende des „Zentralrates der Juden in Deutschland“ war, die Entscheidung bewertet: „Aiwanger im Amt zu belassen, ist politisch zu akzeptieren. Ich weiß, dass er diese Entscheidung als Ergebnis einer schwierigen Abwägung getroffen hat mit dem Ziel, einen gangbaren Weg für die Zukunft aufzuzeigen. Inwieweit es Hubert Aiwanger nun gelingen wird, die Vorwürfe, die noch im Raum stehen, mit Worten und Taten zu entkräften, wird sich zeigen. Er muss Vertrauen wiederherstellen. Die Türen der jüdischen Gemeinschaft waren für ihn immer offen. Diese Gemeinschaft und alle Menschen in Bayern erwarten zu Recht stabile Verhältnisse und eine Staatsregierung, die sich klar gegen Extremismus wendet, und zwar vor dem 8. Oktober ebenso wie danach. Dem MP bleibe ich für seinen Einsatz für eine jüd. Zukunft in Bayern dankbar.“ Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte zur Entscheidung Söders „In der Gesamtbetrachtung ist die Entscheidung des Ministerpräsidenten für mich nachvollziehbar“, allerdings bleibe der Umgang Aiwangers mit den Vorwürfen irritierend: “Immer wieder betonte er eine politische Kampagne gegen ihn als Person und konnte sich erst spät zu einer Entschuldigung durchringen. Ich vermisse bisher bei Hubert Aiwanger eine wirkliche innere Auseinandersetzung mit den Vorwürfen und seinem Verhalten zur Schulzeit.“

10) Der ganze Vorgang zeigt, wie wichtig auch heute nicht nur an den Schulen die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Ursachen bleibt. Das gilt darüber hinaus – im Wissen um die Singularität der NS-Verbrechen - für jede Form des Extremismus und erfordert auch bei Lehrern eine ständige Fortbildung. Auch Eltern stehen hier in einer besonderen Verantwortung. Jeder einzelne Bürger ist in seinem Einsatz für die freiheitliche Demokratie gefordert.

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