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EINE KURSUMKEHR BEI DER BEETHOVENHALLE

ist längst überfällig. Die jüngste Kostenprognose von mehr als 166 Mio Euro für die Sanierung einer maroden Mehrzweckhalle sollte Rat und Verwaltung in Bonn endlich zur Abkehr von ihrer Augen-zu-und-durch-Politik zwingen. Gefragt ist Zukunftsmut statt dem Beharren auf längst Überholtem.
EINE KURSUMKEHR BEI DER BEETHOVENHALLE

 

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Dr. Stephan Eisel

Beethovenhalle schadet Bonn
Neuer Kostensprung auf 166 Mio Euro
Kurskorrektor ist überfällig

Die Luxussanierung-Sanierung der Beethovenhalle ist längst außer Kontrolle geraten, kostet den Bonner Steuerzahler inzwischen mehr als 166 Mio Euro, führt Rat und Verwaltung als hilflose Zaungäste vor und schadet der Stadt Bonn auch über die Stadtgrenzen hinaus in einem noch nicht absehbaren Ausmaß.

Am 28. Juni 2019 legte die Stadtverwaltung einen neuen – den wievielten eigentlich – Offenba­rungseid zu dem Desaster-Bau ab: Ein Kostensprung auf von 117 auf 166 Mio Euro und Fertigstel­lung frü­hestens (!) Mitte 2022. Schon die bisherige Kostensteigerung raubt einem den Atem:

31.01.2015 (Verwaltung lt. GA) 15 bis 30 Mio Euro

07.04.2016 (Drs. 161 1089): 53,4 Mio Euro

22.09.2016 (Drs. 161 2370): 59,9 Mio Euro

19.01.2017 (Drs. 171 0337): 61,5 Mio Euro

26.05.2017 (Drs. 171 1685): 64,0 Mio Euro

15.06.2017 (Stadtdir. Fuchs im GA): 66,5 Mio Euro

27.06.2017 (Drs. 171 1685ST2): 70,6 Mio Euro

12.09.2017 (Projektbeirat lt. GA) 72,2 Mio Euro

18.10.2017 (Drs. 171 3043) 73,3 Mio Euro

08.11.2017 (Drs. 171 3263) 75,2 Mio Euro

12.12.2017 (Verwaltung laut GA) 76,1 Mio Euro

23.02.2018 (Drs. 181 0539) 79,1 Mio Euro

19.06.2018 (Drs. 181 1630ST2) 87,2 Mio Euro

23.08.2018 (Drs. 18 12 225) 93,9 Mio Euro

27.09.2018 (Drs. 181 25 79) 96,0 Mio Euro

01.02.2019 (Verwaltung laut GA) 99,5 Mio Euro

3.02.2019 (Verwaltung laut GA) 102,6 Mio Euro

18.03.2019 Stadtdir. Fuchs im Rat 113,5 Mio Euro

02.05.2019 (Drs. 191 1188 ST2) 117,4 Mio Euro

28.06.2019 (Drs. 191 2027) 166,2 Mio Euro

Auch in der jüngsten Verwaltungsvorlage vom 28. Juni 2019 ist zu lesen von „zahlreichen unge­klärten Fragen und der damit verbundenen Unsicherheiten hinsichtlich der weiteren weiteren Ab­wicklung des Projektes“. Es müsse „davon ausgegangen werden, dass vor August 2019 keine in­haltlich korrekte und zur Koordination von Planungs- und Bauprozessen geeignete Terminpla­nung vorliegen wird.“ „Insgesamt hat sich der Planungs- und Ausschreibungsstand nicht verbes­sert ...“

Dabei ist das Ende der schiefen Ebene noch nicht erreicht, denn auch die neue Prognose ist nach Mitteilung der Stadt nur einzuhalten, "wenn die gemeinsam erarbeitete, neue Strategie mit den je­weiligen Empfehlungen ganzheitlich verfolgt und konsequent angewendet wird." Weil das auch schon bisher nicht der Fall war, ist es euphemistisch und irreführend die jetzt prognostizierte Summe als "worst-case-Szenario" zu bezeichnen.

Trotzdem verfolgen Rat und Verwaltung unbeeindruckt den Kurs des „Augen zu und durch“ statt eigene Beschlüsse zu überdenken. Daß dazu die Kraft fehlt, war bei der Beethovenhalle von Anfang an das Grundproblem. Bevor sich nun alle Beteiligten auf die Verantwortungsflucht bege­ben, sei die Geschichte der größ­ten kommunalpolitischen Blamage der letzten Jahrzehnte noch einmal in Erinnerung gerufen:

  • Bis zur Kommunalwahl 2009 sollte die alte Beethovenhalle durch ein neues im Bau völlig privat finanziertes Festspielhaus ersetzen werden, dessen Betriebskosten über eine we­sentlich vom Bund finanzierte Stiftung getragen hätte. Obwohl es durch die Juryentschei­dung des ersten Architektenwettbewerbs darüber Konsens gab, brachte OB Dieckmann (SPD) keine Vorlage dazu in den Rat ein und von dort wurde sie auch nicht gefor­dert.

  • 2010 beschloss der Bonner Stadtrat auf Vorschlag des damals neu gewählten OB Nimptsch (SPD), die Beethovenhalle zu erhalten. Dafür lagen weder eine Kostenschät­zung noch eine Bedarfsberechnung vor. Diesen Businessplan gibt es bis heute nicht.

  • 2013 beschloss der Rat ohne Prüfung des Bedarfs, für 3 Mio Euro ein Planungsbüro zu beauftragen, den Umbau der Beethovenhalle zu einer „Multifunktionshalle“ vorzubereiten. Zugleich verweigert man ständig notwendige Beschlüsse zum Festspielhaus.

  • Am 10. Dezember 2015 entschied sich der Rat mit 43:35 Stimmen (Grüne, Mehrheit der CDU, FDP, Linkspartei und Piraten) gegen SPD, BBB und Minderheit der CDU für eine auf­wendige Sanierung der Beethovenhalle und lehnte den Vorschlag des neu gewählten OB Sridharan (CDU) ab, wesentlich kostengünstiger bis zum Beetho­ven-Jubiläum nur die Be­triebssicherheit der Halle zu gewährleisten. Damit sollte eine Zukunftslösung unter Einbe­zug der ebenfalls sanierungsbedürftigen Oper möglich werden.

Eine wesentliche Ursache für das folgende Desaster liegt darin, dass die Verwaltung dem Rat im­mer wieder unsolide Beschlüsse abverlangte und die Ratsmehrheit diese auch gefasst hat:

  • Im Sanierungsbeschluss vom 10. Dezember 2015 steht wörtlich, dass eine „vertiefte Entwurfsplanung ... aufgrund der Komplexität noch nicht abgeschlossen wer­den„ konnte. Beschlossen hat der Rat trotzdem ...

  • Am 7. April 2016 legte sich der Rat auf eine aufwendige Sanierung fest, obwohl es im Beschlusstext ausdrücklich heißt, dass erst nach dem dem Ratsbeschluss (!) zur „internen Absicherung ... eine Plausibilisierung der vorgelegten Zahlenwerke durch das städtische Rechnungsprüfungsamt vorgenommen werden“ soll - und selbst das nur „auf einer kursori­schen Ebene“. Beschlossen hat der Rat trotzdem ...

  • Am 5. März 2018 lehnte die Ratsmehrheit einen Baustopp und gab sich damit zufrieden, dass Projektleiter und Projektsteuerer mündlich (!) im Rat behaupten, es sei alles gar nicht so schlimm wie die Verwaltung noch am 23. Februar 2018 zum Zustand der Beethovenhal­le schriftlich mitgeteilt hatte: „fragile Bausubstanz und bisher nicht näher identifizierbare Ob­jekte im tie­feren Erdreich“ … „zum Teil auftretende Risse in den Bestandswänden“ … „er­hebliche Mängel an der Bausubstanz“ … „Standsicherheit einzelner Bereiche nicht mehr gewähr­leistet“ … “im gesamten Gebäude nahezu flächendeckende massive Bauwerks­schäden“ … „erhebliche konstruktive, statische Fehler“.
    Beschlossen hat der Rat trotzdem ...

Solchen Beschlussvorlagen hätte kein Ratsmitglied zustimmen dürfen. Hauptverantwortlich für das ganze Desaster sind der ehem. OB Nimptsch (SPD) mit seinen unseriösen Ratsvorlagen, die Grünen mit ihrer ideologischen Fixierung auf die Beethovenhalle und die Fraktionsführungen von CDU und FDP, denen eine Koalition mit den Grünen wichtiger war als sachgerechte Entscheidungen. Den Fraktionsspitzen der Jamaika-Koalition fehlt bis heute die Einsicht, dass ein falscher Kurs einge­schlagen wurde, und damit die Kraft diesen zu korrigieren.

Angesichts des eingetretenen Desasters sollte man sich jetzt durch eine Baupause die Zeit geben, die bisherige Konzeption grundsätzlich und vorbehaltlos auf den Prüfstand zu stellen. 

Eine solche Baupause kann genutzt werden um

1. die bisher geplante Luxussanierung radikal abzuspecken. Dazu ist unverzüglich zu über­prüfen, welche Kosten durch die Stornierung noch nicht verbauter Aufträge entstehen. Sol­che Stornierungen sind sinnvoller als eine Augen-zu-Strategie der weiteren unveränderten Bauausführung. 

2. den Denkmalschutz aufzuheben, der besonders kostentreibend ist. Die Aufhebung des Denkmalschutz kann durch einfachen Ratsbeschluss eingeleitet werden. Das könnte noch vor der Sommerpause geschehen.

3. unverzüglich zu prüfen, ob das bisherige Sanierungskonzept nicht durch die Realisierung eines Beethoven-Campus ersetzt werdenkann, wie er von Gutachtern im Blick auf die notwendige Sanie­rung der Oper vorgeschlagen wurde.

Da die Verwaltung mitgeteilt hat, dass die Sanierung der alten Mehrzweckhalle frühestens Mitte 2022 abgeschlossen sein kann, ist es ohne Probleme möglich, sich Zeit für eine solche grundle­gende Revision des bisherigen Konzeptes zu nehmen. Sinnvoll und notwendig ist es in jedem Fall.

Außerdem sind bei der Beethovenhalle bisher  21 von 68 Vergabeeinheiten noch garnicht aus­geschrieben. Aufträge wurden bisher nach Verwaltungsangaben im Wert von 93 Mio Euro er­teilt, aber nur 47 Mio Euro sind bereits ausgezahlt. Insgesamt birgt also das noch offenes Auftrags­volumen von über 100 Mio Euro ein erhebliches Einspar­potential.

Die Option eines Neubaus der Oper mit einem integrierten Konzertsaal neben der Mehrzweckhalle in einer abgespeckt sanierten Beethovenhalle ist ernsthaft zu prüfen. Eine Sanierung des alten Opern-Gebäudes im Bestand wäre nämlich nach den unsäglichen Erfahrungen bei der Beethoven­halle weder verantwortlich noch zu vermitteln und riskiert die Existenz der Oper als Institution.

Neben Baden-Baden und Oslo wäre das 2014 in Florenz eröffnete neue kombinierte Konzert- und Opernhaus ein gutes Vorbild für Bonn. Es hat für Oper und Konzerte aller Art einen großen Saal sowie für Theater, Kammermusik und andere Formate einen kleinen Saal und bietet ausserdem noch eine Freiluftbühne. Ein solches modernes Gebäude ist nicht nur im Bau kalkulierbarer, sondern auch im Betrieb effizienter.

Es ließe sich mit einem solchen Beethoven-Campus auch ein gravierendes Problem beheben, das sich heute stellt: Das Bonner Opernhaus ist nur geöffnet, wenn es Vorstellungen gibt. Die meiste Zeit wirkt es mit seiner Umgebung wie ein verlassener Ort – auch wenn im Innern (aber für die Be­völkerung aber nicht sichtbar) ein lebendiger Probebetrieb läuft. Diese räumliche Isolation muss aufgebrochen werden, denn Kulturgebäude sollten die Menschen nicht eindimensional nur zu be­stimmten Zeiten einladen, sondern ein ständiges Angebot von Erlebnisräumen sein.

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DAS NEUE BEETHOVEN-BUCH VON

Stephan Eisel ist soeben erschienen. Dabei geht es um BONN UND DIE NEUNTE SINFONIE, denn Beethovens Meisterwerk hat vielfältige Bezüge zu seiner Heimatstadt. So hat Beethoven hat Schillers "Ode an die Freude" bereits in Bonn kennengelernt und hier die Absicht geäußert, es zu vertonen. Und mit Ferdinand Ries war 1817 bzw. 1822 ein Bonner der Auftraggeber für die 9. Sinfonie, denn er Direktor der London Philharmonic Society.

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