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ALS LINKE PROTESTPARTEI HABEN SICH

die Piraten bei ihrem Bundesparteitag in Offenbach profiliert. Ein "bedingungsloses Grundeinkommen", die Freigabe aller Drogen, die Abschaffung der Leistungskürzungen bei Hartz IV, wenn zumutbare Arbeit verweigert wird, und "fahrscheinloser" ÖPNV sind die zentralen Forderungen, die verabschiedet wurden.
ALS LINKE PROTESTPARTEI HABEN SICH

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Zum Offenbacher Bundesparteitag

Piraten mit linkem Protestprofil

Bei ihrem Bundesparteitag 2011 in Offenbach hat sich die Piratenpartei kaum mit ih­rem Kernthema Internet befasst, sondern in Vorbereitung eines Programms zur Bundestagswahl 2013 andere po­litische Themen disku­tiert. Dabei wurden nur wenige inhaltliche Anträge verabschie­det, die allerdings den Charakter der Piraten als eher linke Protestpartei unterstreichen.

Die Piratenpartei knüpft damit an ihr Ergebnis bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2011an. Dort konn­te sie neben ihrer Stammwählerschaft ein Drittel ihrer Stimmen aus dem Bereich der Nichtwähler und klei­ner Splittergruppen und ein weite­res Drittel aus dem Bereich linker Wähler (Grüne, SPD, Linkspartei) ab­werben. Weniger als zehn Prozent der Piratenwähler in Berlin waren zuvor Wähler von CDU oder FDP. 

Intransparent: Wer entscheidet bei den Piraten ? 

Bundesparteitage sind in ihrer Zusammensetzung üblicherweise transparente Gremien: Gewählte Delegierte re­präsentieren die Mitglieder nach der Mitgliederzahl der jeweiligen örtlichen Parteiglie­derung. Die Piratenpar­tei hat sich bewusst gegen dieses Prinzip entschieden und in ihrer Satzung festgelegt: „Der Bundespartei­tag ist die Mitgliederversammlung auf Bundesebene.“ Jedes Mitglied der Piratenpartei ist also bei einem Bundespar­teitag stimmberechtigt, allerdings nur sofern es dort anwesend ist.

Anfang Dezember 2011 hatte die Piratenpartei nach eigenen Angaben 18.845 Mitglieder, das ist seit dem Ein­zug ins Berliner Abgeordnetenhaus im September ein Zuwachs von ca. 4000 Mitgliedern. Allerdings weißt die Piratenpartei ausdrücklich darauf hin, dass nur 11.937 Mitglieder stimmberech­tigt sind, d.h. ihren Mitglieds­beitrag gezahlt haben. In Offenbach hatten sich zu Beginn des Bundes­parteitages 1255 Mitglieder registriert, also beachtliche zehn Prozent der stimmberechtigten Ge­samtmitgliedschaft. 

Allerdings lässt sich nicht feststellen, inwieweit die anwesenden Mitglieder repräsentativ für die Gesamtmit­gliedschaft waren. So liegt es beispielsweise nahe, dass die Regionen überrepräsentiert waren, die in der Nähe des Tagungsortes liegen. Bei den Piraten fehlte die bei anderen Parteien selbstverständliche Transpa­renz bei­spielsweise darüber, wieviele Stimmberechtigte aus welchen Bundesländern ka­men. Im Unterschied zu ande­ren Parteien geht dies auch nicht aus den Wortmeldungen hervor. Viele Redner sind auch im Parteitagsproto­koll nicht zuzuordnen, das sie nur mit Vornamen ausgewiesen werden. 

Vor allem aber waren alle Mitglieder der Piratenpartei, die an dem Bundesparteitag aus regionalen, zeitlichen oder finanziellen Gründen nicht teil­nehmen konnten, im Unterschied zu Parteitagen mit ge­wählten Dele­gierten in keiner Weise vertreten. Dennoch wollen die Piraten ausdrücklich daran festhal­ten, selbst bei ihren Bundesparteita­gen kein Delegiertensystem einzuführen. 

Realitätsfern: Was wurde beschlossen ? 

Da beim Piraten-Bundesparteitag (wohl in realistischer Einschätzung der mangelnden Repräsentativität des Vollversammlungsprinzips) zur Annahme eines Antrages eine 2/3-Mehrheit erforderlich ist, wurden bei dem zweitä­gigen Offenbacher Parteitag insgesamt nur etwa 30 Anträge angenommen. Davon befassten sich etwa ein Drittel mit Organisations- und Satzungsfragen. Ein weiteres Drittel hatte eher dekla­matorischen Charakter wie Resolutionen gegen Rechtsextremismus und erfreulich klares Bekenntnis zur europäischen Integration. Die zentralen inhaltlichen Beschlüsse sind aber durch einen Hang zur ideologischen Radikalität gekennzeichnet. Realitätsbe­zug ist nicht die Stärke der Piraten. So fordern sie 

  • ein „bedingungsloses Grundeinkommen“, d.h. eine garantierte staatliche Zuwendung unabhängig von eige­nen Vermögensverhältnissen und „ohne Zwang zur Arbeit“. Über die Finanzierung dieses Konzeptes sagt der Beschluss nichts aus: „Wir Piraten setzen uns für die Einführung eines bedin­gungslosen Grundeinkommens ein, das die Ziele des "Rechts auf sichere Existenz und gesellschaftli­cher Teilhabe" aus unserem Parteipro­gramm erfüllt. Es soll die Existenz sichern und gesellschaftli­che Teilhabe ermöglichen, einen indivi­duellen Rechtsanspruch dar­stellen sowie ohne Bedürftigkeitsprü­fung und ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garan­tiert werden. Wir wis­sen, dass ein bedingungsloses Grundein­kommen die Paradigmen des Sozialstaats we­sentlich verän­dern wird. Statt mit klassischer Parteipo­litik muss dessen Einführung daher mit einer breiten Betei­ligung der Bürger einhergehen.“ 

  • bedingungslos gewährte Sozialleistungen durch die Abschaffung der Leistungskürzungen, wenn Hartz IV-Empfänger eine zumutbare Arbeitsstelle ab­lehnen oder sich einer Eingliederungsmaß­nahme verwei­gern. Allein 9 der 30 ge­fassten Be­schlüsse befassen sich mit diesen Bestimmungen des Sozialgesetzbuches zu Hartz IV. Die Kernsätze dieser Beschlüsse lauten: „Dennoch sind in Ka­pitel 3 des SGB II und des SGB XII jeweils „Sanktionen“, also Kürzungen von Sozial­leistungen zum Zweck der Maßregelung von Leistungsempfängern vorgesehen. Dies ist aus unserer Sicht mit dem grundge­setzlichen Recht zur Achtung der Menschenwürde in Artikel 1 und dem Verbot von Zwangs­arbeit in Ar­tikel 12 des Grundgesetzes unvereinbar … Die Piratenpartei Deutschland setzt sich für die Verbesse­rung der Situation der Erwerbslosen ein, insbe­sondere für die Abschaffung und soforti­ge Nichtanwen­dung (Moratorium) der Sanktionen bei Hartz IV „In der Antragsbegründung heisst es: „Die Sanktions­drohung lähmt und belastet. Indem sie zahllose Menschen zu beruflichen Kom­promissen zwingt, wirkt sie bis weit in die Mitte der Erwerbsgesellschaft hinein als Freiheits­einschränkung.“ 

  • die „strikte Trennung“ von Staat und Religion, u. a. durch Abschaffung der Kirchensteuer und von „Privile­gien“ für soziale Einrichtungen der Kirchen sowie die Abschaffung der Erfassung der Religionszugehörig­keit durch staatliche Stellen. In dem Beschluss heisst es: „Die weltanschau­liche Neutralität des Staates herzustellen, ist daher eine für die gedeihliche Ent­wicklung des Ge­meinwesens notwendige Voraussetzung. Ein säkularer Staat erfordert die strikte Trennung von reli­giösen und staatlichen Belangen; finanzielle und strukturelle Privilegien einzelner Glaubensge­meinschaften, etwa im Rahmen finanzieller Alimentierung, bei der Übertragung von Aufgaben in staatlichen Institutionen und beim Betrieb von sozialen Einrichtungen, sind höchst fragwürdig und daher abzubauen. Im Sinne der Datensparsamkeit ist die Erfassung der Religionszu­gehörigkeit durch staatliche Stellen aufzuhe­ben, ein staatlicher Einzug von Kirchenbeiträgen kann nicht ge­rechtfertigt werden.“ 

  • die Zulassung aller Drogen, das Ende der „Kriminalisierung“ von Drogenkonsum und die Schaf­fung „kon­trollierter Erwerbsstrukturen“ zum Drogenkauf: „Die PIRATENPARTEI-DEUTSCHLAND steht für eine repressionsfreie Drogenpolitik  und will ein Ende der gescheiterten Prohibition.  Wir lehnen die heutige, wissenschaftlich nicht haltbare Un­terscheidung  in le­gale und illegale Stoffe ab und for­dern die objektive Bewertung und Handhabung  aller psychoaktiven Sub­stanzen alleine an­hand ihres Gefahrenpotentials.  Die derzeitige nicht fak­tenbasierte Bevormundung Er­wachsener  beim verant­wortungsvollen Umgang mit Rausch- und Ge­nussmitteln  widerspricht der Grundüber­zeugung der PI­RATEN und unserem Verständnis einer mündigen Gesellschaft.  Die bisherige Krimi­nalisierung der Konsumenten muss beendet  und der damit verbundene Schwarzhandel durch kon­trollierte Erwerbss­trukturen ersetzt werden.„ 

  • die „Einführung eines Nulltarifes im ÖPNV“, wobei auch hier im Beschluss keine Aussagen zur Fi­nanzierung gemacht werden: „Die Piratenpartei ist davon überzeugt, dass ein fahrscheinfreier ÖPNV nicht nur für die Gesell­schaft, son­dern auch für die Wirtschaft langfristig einen Gewinn dar­stellt.“ 

Mit solchen Forderungen belegt die Piratenpartei, dass sie keineswegs wie von ihrem Bundesvorsitzenden behauptet „in der Realpolitik angekommen“ ist. Die Beschlüsse des Parteitages unterstreichen vielmehr die Notwendigkeit sich vom Spassfaktor der Piraten nicht ablenken zu lassen, sondern sich kritisch mit ihren politischen Forderungen zu befassen.

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