Volltextsuche:

6) Aus dem Kapitel "Die nationalsozialistische Musikdiktatur"

 

...

Doch nicht nur ideologische Aggression gegen Musik nahm zu. Auch ideologische Vereinnahmung von Musik war schon vor der Machtergreifung zu beobachten. So plante die NSDAP in München im Dezember 1931 das erste Konzert des neuen, von Hitler persönlich protegierten „Nationalsozialistischen Reichssymphonieorchesters". Die bayerische Regierung untersagte die im Circus-Krone-Bau vorgesehene Veranstaltung, weil man eine Störung des Weihnachtsfriedens und der öffentlichen Ordnung befürchtete. Im Januar 1932 konnte das Konzert dann allerdings nachgeholt werden.

Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde die Zensurpolitik im ganzen Reich und mit großer Rigorosität durchgesetzt. Bereits am 10. Februar 1933 war im nunmehr offiziösen Völkischen Beobachter ein Aufsatz mit dem Titel Bolschewismus in der Musik zu lesen. Zur Missa brevis von Hermann Reutter hieß es dort, dies sei ein Werk, „das alle Eigenschaften besitzt, um in die Kategorie Bolschewismus in der Musik eingesetzt zu werden." Es sei nämlich nicht singbar, atonal und unmelodiös. So ließ das Regime von Anfang an keinen Zweifel über die Richtung der Repression auch im Musikbereich.

Der Berliner Generalmusiker Otto Klemperer, besonders angefeindet wegen einer experimentellen Tannhäuser-Inszenierung, musste es nur zwei Tage später, am 12. Februar, hinnehmen, dass ein von ihm dirigiertes Konzert in der Staatsoper Unter den Linden wegen angeblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit abgesetzt wurde. Ähnlich erging es dem Direktor der Dresdener Oper, Fritz Busch, dem die SA vorwarf, er verkehre zuviel mit Juden. Am 7. März störte die SA in Dresden eine Probe und ein Konzert so lange mit Buh-Rufen, bis Busch aufgab. Auch die Dirigenten Erich Kleiber - er hatte noch 1934 Strawinsky und Berg aufgeführt - und Hans Knappertsbusch blieben von Angriffen nicht verschont.

Über die Tage nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten berichtete später der Komponist Ernst Krenek - von ihm stammt unter anderem die Jazzoper Johnny spielt auf (1927) - : „Die Aufführung eines meiner Werke, die für den Tag nach den Hitlerwahlen im März 1933 in einer deutschen Stadt angesetzt war, wurde unmittelbar nach Bekanntgabe der Wahlresultate abgesagt." Zu solcher Anpassung lokaler Behörden durch vorauseilenden Gehorsam gegenüber den neuen Machthabern kam es überall.

Neben scheinbar musikalischer Kritik an zeitgenössischen Werken trat sehr schnell offener Antisemitismus zu Tage. Schon im März 1933 erzwang die NSDAP in Leipzig vom Dirigenten der Gewandhauskonzerte, Bruno Walter, den Verzicht auf den Gang zum Dirigentenpult, da das Auftreten eines Juden die öffentliche Sicherheit störe. Goebbels verhindert kurze Zeit später auch ein Konzert mit Walter in der Berliner Philharmonie, wobei Richard Strauss einsprang, allerdings ohne Walters Honorar anzunehmen.

Bruno Walter ging dann zunächst an die Wiener Staatsoper, wo er jedoch 1938 von den Nazis vertrieben wurde. Schließlich emigrierte er nach Frankreich. Strauss ersetzte in jenen Tagen auch Toscanini in Bayreuth. Wie er später in einem Brief an seinen Librettisten Stefan Zweig schrieb, der sich wegen des wachsenden Antisemitismus von ihm trennen wollte, habe er das eine dem Orchester, das andere Bayreuth zuliebe getan: „Das hat mit Politik nichts zu tun, und Sie sollten sich auch nicht darum kümmern."

Als 1933 zur anstehenden Brahmsfeier in Hamburg die Schirmherrschaft Hitlers in Aussicht gestellt wurde, schrieb die Philharmonische Gesellschaft der Stadt in eilfertiger Unterwürfigkeit an den nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur: „Die Solistenauswahl, die schon im Dezember vorigen Jahres getroffen werden musste, wird natürlich dahingehend geändert, dass keine jüdischen Künstler mitwirken." Zu den Ausgeladenen gehörten auch bekannte Künstler wie der Pianist Rudolf Serkin. Als Serkin für untragbar erklärt wurde, verließ auch der von ihm oft begleitete Geiger Adolf Busch Deutschland, ebenso übrigens die Sängerin Lotte Lehmann. Zunächst gab es noch einigen Widerspruch: Elf führende Dirigenten mit Arturo Toscanini und Sergej Koussevitzky an der Spitze schickten wegen der Boykottaktion der Nazis gegen Juden am 1. April 1933 ein Protesttelegramm an Hitler. Doch die NS-Diktatur schlug hart zurück: Nur drei Tage später verbot der Deutschlandsender die Ausstrahlung von Komponisten und Schallplatten dieser Künstler. Im Mai verzichtete Toscanini aus Protest auf seine Teilnahme an den Bayreuther Festspielen. Ebenso erklärte der Dirigent übrigens noch vor dem Anschluss Österreichs schon im Februar 1938, er werde dort, und insbesondere in Salzburg, nicht mehr dirigieren.

...