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5) Aus dem Kapitel "Das politische Lied"

  „Ein garstig Lied!

Pfui! Ein politisch Lied.

Ein leidig Lied!"

Johann Wolfgang Goethe im Faust

Eine besondere Rolle bei der Betrachtung des musikalischen Dienstes für Politik spielt das politische Lied. Hier treffen sich oft Bekenntnis und Vereinnahmung, freiwillige Förderung politischer Zwecke und ungehemmte Ausnutzung musikalischer Wirkungen. Ganz zu Recht stellt daher die amerikanische Zeitung Commercial Adviser im August 1800 fest: „ A good song, which is sometimes beyond the reach of the best poets, has on particular occasion done wonders."

Erster prominenter Vertreter dieser Gattung war wohl Walther von der Vogelweide. Auf der Suche nach Mäzenen sah er sich zu politischen Sangsprüchen veranlasst, die sich in einer Mischung aus politischer Dramatik und metaphysicher Betrachtung an die führenden Repräsentanten von Reich und Kirche richteten. Seit dem 13. Jahrhundert ist - zunächst insbesondere als Zeitungsersatz - das Nachrichtenlied als Vorläufer des modernen politischen Liedes nachweisbar. Welche politische Rolle das Lied schon früh spielen konnte, zeigt auch die bekannte Geschichte der Befreiung des englischen Königs Richard Löwenherz. Als er in die Gefangenschaft von Leopold IV. von Österreich geraten war, zog der Spielmann Blondel de Nesle singend von Burg zu Burg, um herauszufinden, wo sein Herr eingekerkert war, und dessen Befreiung vorzubereiten.

Worin die vorteilhafte Wirkung des Liedes gegenüber dem gesprochenen oder gar gedruckten Wort liegt, beschrieb 1834 recht anschaulich die tschechische Zeitschrift Kvety: „Die Bücher wandern durch das Vaterland mit einem langsamen Wagen, meistens erst nach der Bestellung, aber die Gesänge sind Vögel, die durch die Luft fliegen und, an einem Ende einmal begonnen, gleich am anderen Ende laut erklingen." Schon 1805 war in der United States Gazette zu lesen: „The effect of popular songs and airs, especially in times of alarm and danger, has been long known; and they often been employed, both by patriot and traitor, to inspire resultion and rouse heroism..."

In Frankreich zählte man Mitte des 19. Jahrhunderts 3 200 Chöre mit rund 150 000 Sängern, in Deutschland gab es am Vorabend der Revolution von 1848 über 1 100 Männergesangsvereine mit rund 100 000 Mitgliedern. Nicht nur in diesen organisierten Vereinen und den zahlreichen Sängerfesten der Zeit wurde neben Volksliedern natürlich auch patriotisches Liedgut gepflegt, etwa Arndts Was ist des Deutschen Vaterland. Ferdinand Lasalle gab am 14. April 1863 bei Georg Herwegh das erste sozialdemokratische Parteilied in Auftrag. Und es war im übrigen Otto von Bismarck, der in einer Rede als Altkanzler den Sängern bestätigt hatte, dass das Deutsche Reich nicht auf Schlachtfeldern entstand, sondern auf ihnen „mitgezimmert" wurde.

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