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3) Aus dem Kapitel "Die Zensur greift um sich"

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Besonders aktiv wurde die Zensur dort, wo sich die Freiheitsidee und nationales Unabhängigkeitsstreben musikalische verbanden. Schnell war offenbar klar geworden, dass Komponisten mit einer betont auf nationales Kulturerbe ausgerichteten Musik erheblich zur Förderung des Nationalgedankens in ihrer Heimat beitragen konnten. Genannt seien hier nur der Ungar Franz Liszt, der Italiener Giuseppe Verdi, der Tscheche Friedrich Smetana, der Russe Modest Mussorgski, der Norweger Edvard Grieg oder der Finne Jan Sibelius.

Die Musikzensur trieb vor diesem Hintergrund im 19. Jahrhundert vielfältige Blüten. So unternahmen das kaiserliche Wien Schritte gegen Beethovens Oper Leonore (1805) - später Fidelio - und Vincenzo Bellinis Ernani (1830) wurde wegen des revolutionären Untertons ganz verboten. In Deutschland und Österreich dürfte auch Gioacchino Rossinis Oper Wilhelm Tell (1928) nicht aufgeführt werden, denn die Handlung schildert österreichische Repression in der Schweiz. So wurden aus den Schweizern Tiroler und aus den Österreichern Franzosen bzw. Italiener. Das Werk erhielt den neuen Titel „Rudolfo Sterlinga bzw. Walter Hofer und war nunmehr genehm. In Berlin war das Original erstmals 1842 nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelm IV zu sehen. Ein Komponist wie Albert Lortzing erlebte zu seinen Lebzeiten von 1801 bis 1851 ganze sechs zensurfreie Monate, und zwar im Revolutionsjahr 1848.

Besonders Giuseppe Verdi musste leidvolle Erfahrungen mit der Zensur machen. In seiner Oper Nabucco (1842) schilderte er am Beispiel der Juden äußerst eindrucksvoll die Not eines Volkes, das nach Freiheit dürstet. Der Gefangenenchor aus diesem Werk fand schnelle Verbreitung und wurde als hervorragender Ausdruck italienischen Patriotismus' und Freiheitsstrebens gegen die österreichische Herrschaft empfunden. Den amtlichen Stellen der Donaumonarchie war der Komponist seitdem besonders suspekt. Hinzu kam, dass viele Italiener begannen, den Namen Verdi als Abkürzung für Vittore Emanuele Re d'Italia zu lesen, als man sich später darauf verständigt hatte, Victor Emmanuel von Sizilien den Königsthron eines geeinten Italien anzubieten. Man durfte diese Parole zwar damals an keine Mauer schreiben, konnte sich aber in Hochrufen auf den Komponisten ungestraft zu ihr bekennen.

Die österreichische Zensur behielt den erfolgreichen Komponisten ständig im Auge: Sei es, um im Rigoletto (1851) - basierend auf Victor Hugos Le roi s'amuse - aus dem in eine Liebesaffäre verwickelten Franz I. von Frankreich einen Herzog von Mantua zu machen oder um den Handlungsort des Maskenball (1859) - es geht um die Ermordung des schwedischen Königs 1792 - nach Nordamerika zu verlegen. Selbst in unseren Tagen sind Verdis Opern noch das Ziel staatlicher Zensur: Noch Mitte der 80er Jahre wurde in Bukarest die Aufführung von Macht des Schicksals wegen des darin vorkommenden Priesterchores verboten.

Verdi brachte - was für seine Berufskollegen keineswegs selbstverständlich ist - für solche Rangeleien mit den staatlichen Organen das nötige Selbstbewusstsein mit, das natürlich mit dem musikalischen Erfolg wuchs. Als ihn später der italienische Innenminister ob seiner Verdienst um die italienische Nation zum Ordensmitglied der Corona d'Italia ernennen wollte, schrieb der Komponist kurzerhand zurück: „Ein Brief Eurer Exzellenz - musikkundig, wie Sie sich selbst bezeichnen und wie ich glaube - an Rossini behauptet, seit vierzig Jahren sei in Italien keine Oper mehr geschrieben worden. Warum schickt man mir also den Orden? Es handelt sich bestimmt um eine Verwechslung in der Adresse und ich sende ihn hiermit zurück.

In der Donaumonarchie kam es noch zu manche anderen Zensuraktivitäten, denn in dem Vielvölkerreich war Musik, die nationale Emotionen weckte, besonders gefürchtet. Verboten war beispielsweise das tschechische Volkslied Hej Slovane, was Antonin Dvorák um 1868 veranlasste, die Melodie des Liedes im Scherzo seines D-Dur-Streichquartetts zu verarbeiten. Franz Liszt - er war schon 1840 in ungarischer Nationaltracht zu einem Konzert erschienen - musste noch 1884 erleben, dass sein für die Einweihung des Budapester Opernhauses geschriebenes Kapitel Königslied von der Zensur verboten wurde.

Doch nicht nur in Wien fürchtete man die politische Dynamik nationaler Musik. In Russland galt in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch die Regel, dass ein Zar nicht auf der Bühne dargestellt werden durfte. So wurde aus Albert Lortzings Zar und Zimmermann (1837) dort Flandrische Märchen, in denen Kaiser Maximilian die Stelle von Zar Peter I. einnahm. Andererseits ordnete Zar Nikolaus I., kurz vor der Premiere der Oper Iwan Sussanin (1836) von Michail Glinka die - dem Libretto allerdings durchaus entsprechende - Umbenennung des Werkes in Ein Leben für den Zaren an. Aus Modest Mussorgskis Oper Boris Godunoff (1872) - es geht um den Versuch eines Usurpators, den Zarenthron an sich zu reißen - strich die russische Zensur vor Aufführungen meist die große Revolutionsszene. Der Zar ließ auch gegen die Oper Der goldene Hahn (1909) vom Nikolai Rimski-Korsakow vorgesehen, weil darin ein Despot als Dummkopf dargestellt wird. Die Oper nach einem Text Puschkins - uraufgeführt erst nach dem Tod des Komponisten - durfte nur noch in zensierter Fassung aufgeführt werden.

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