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ONLINE-WAHLEN SCHEITERN AM

Demokratietest, weil sie nicht gleichzeitig das Wahlgeheimnis schützen und Sicherheit vor Manipulation gewährleisten können. Wenn zur Technikfaszination die Demokratiekompetenz kommt, zeigt sich schnell, dass die Urnenwahl der Stimmabgabe im Internet haushoch überlegen ist.
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Stephan Eisel

Besser das Kreuz als ein Klick

Warum Online-Wahlen am Demokratietest scheitern

Nach einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung halten 94 Prozent der Deutschen Wahlen für das wichtigs­te Instrument demokratischer Entscheidungsfindung, nur 5 Prozent lehnen sie prinzipiell ab. Von keinem anderen demokratischen Angebot machen auch nur annäh­rend so viele Bürger Gebrauch wie vom Wahlrecht. So liegt die Beteiligung an Wahlen in Deutsch­land durchgängig um 20-30 Prozent höher als beispiels­weise an Volksentscheiden. Bei den letzten acht Landtagswahlen ist die Wahlbeteiligung ausnahmslos gestiegen, und zwar durch­schnittlich um bemerkenswerte sieben Prozent.

Die Höhe der Wahlbeteiligung hat erkennbar nichts mit dem Wahlverfahren zu tun, sondern hängt von anderen Faktoren ab – insbesondere von der Einschätzung, ob es auf die eigene Stimme ankommt, d. h. für wie offen also der Wahlausgang gehalten wird. Dennoch wird regelmäßig gefordert, Wahlen auch im Internet zu ermöglichen, weil dies die Wahlbeteiligung steigern würde.

Tatsächlich ergaben aber alle bisherigen Feldversuche mit Online-Wahlen vor allem in der Schweiz und Est­land keinerlei Hinweise für eine dadurch er­reichte Steigerung der Wahlbeteiligung. Beobachtet wurde allenfalls eine Verlagerung postalischer Briefwahl ins Internet. Bei über 150 dafür geöffneten Wahlgängen von 2013 - 2016 wurde in der Schweiz sogar eine deut­lich unterdurch­schnittliche Wahlbeteiligung beim Online-Voting verzeichnet. Dies ergibt sich aus Berechnungen auf Basis der offiziellen Angaben der Schweizer Bundeskanzlei. Gleiches gilt nach den Daten der Nationalen Wahlkommission für Wahlen in Estland 2005 – 2015. In bei­den Ländern lag die Beteiligung der zum Onli­ne-Voting Berechtigten um über 30 Prozent unter der allgemei­nen Wahlbeteiligung.

Als größter Versuch zur Durchführung von Internetwahlen in Deutschland kann die 2007 getroffene Entscheidung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gelten, die alle vier Jahre fällige Wahl der eigenen „Fachkollegien“ ausschließlich (!) im Internet vorzunehmen. Obwohl es sich bei den über 130.000 wahlberechtigten Wissenschaftlern um eine besonders internet-affine Gruppe handelt, ist die Wahlbeteiligung durch diese Online-Wahlen nicht gestiegen, sondern sogar leicht gesunken. Sie lag bei letzten Offline-Wahlen 2003 noch bei 44,5 Prozent und bei den ausschließ­lichen Internetwahlen 2007, 2011 und 2015 nur noch bei 37-38 Prozent. Es ist also ein Trugschluss zu glauben, dass nur deshalb Wahlbeteiligungen steigen, weil der Gang zur Wahlurne überflüssig wird.

Die Probleme von Wahlen im Internet liegen aber nicht der Illusion über ihre Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung, sondern im Grundsätzlichen. Online-Wahlen kön­nen die in Artikel 38 des Grundgesetzes festgeschriebenen Grundsätze der “allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleiche und geheimen Wahl“ nicht gewährleisten. Das Bundesverfassungsge­richt hat mehrfach unterstrichen, dass keiner dieser Wahlrechtsgrundsätze unverhältnismäßig eingeschränkt werden darf.

Zur 1957 eingeführten Briefwahl hat das höchste deutsche Gericht zuletzt 2009 festgestellt, dass dabei die Integrität der Wahl nicht gleichermaßen gewährleis­tet ist wie bei der Urnenwahl. Dieser Nachteile sei aber zur Wahlerleichterung beispielsweise für Kranke hinnehmbar, wenn der Vorrang der Urnenwahl sichergestellt sei. Inzwischen ist zwar der Anteil der Briefwähler auf ca. 20 Prozent gestiegen. Aber ein erheblicher Anteil davon – die Rede ist von etwa der Hälfte – nutzt die sog. „vorgezogene Urnen­wahl“, die seit 1985 besteht. Diese Wähler erscheinen vor dem eigentlichen Wahltag bei der Kommune, und werfen den Stimmzettel, den sie dort erhalten, selbst in die Urne. Formal gelten sie als Briefwähler, obwohl sie tatsächlich Urnenwähler sind.

Entscheidender Vorteil der Urnenwahl ist, dass sie das Wahlgeheimnis garantiert, d. h. der Inhalt der angegebenen Stimme nicht mit der Person des Wäh­lenden verknüpft werden kann. An der Wahlurne findet diese Trennung mit dem Ein­wurf des Stimmzettels statt.

Online-Wahlen haben das systemimmanente Problem, dass sie zwei der für demokratis­che Wahlen grundlegenden Voraussetzungen nicht gleichzeitig erfüllen können - nämlich das Wahlgeheim­nis zu schützen und den Schutz vor Manipulation der Stimmabgabe sicherzustellen.

Bei Wahlen im Internet wäre nur durch den personenbezogenen Zugang wie z. B. ein PIN-Verfahren der Schutz vor Manipulationen z. B. durch eine mehrfache Stimmabgabe herzu­stellen. Bei diesem Verfahren können aber Systemadminis­tratoren die angebliche Anonymität der Stimmabgabe ohne Wissen der Abstimmenden umgehen, weil es technisch möglich ist, die abgegebene Stimme der Person des Abstimmenden zuzuordnen. Verschlüsse­lungsmethoden helfen hier nicht weiter, da sie von deren Entwicklern auch entschlüsselt werden können.

Schon 2012 haben auch die Entwickler der Software „LiquidFeedback“ dieses grundsätzliche Pro­blem ein­geräumt und sich deshalb davon distanziert, dass die Piratenpartei ihre Software für parteiinterne Entscheidungsverfahren nutzte: „Alle Online-Plattformen für demokratische Willensbildung und Entscheidungs­fin­dung ha­ben ge­meinsam, dass es praktisch nicht möglich ist, gleichzeitig sowohl eine verdeckte Stimmabgabe als auch eine Überprüfbarkeit des Verfahrens zu erreichen. Denn das Internet kann durch die Teilnehmer (im Gegensatz zu einer echten Wahlurne) nicht hinreichend auf korrekte Funktionsweise geprüft werden.“ Manipulationsge­fahren seien nur zu unterbinden, „wenn auf die geheime, pseudonyme oder anonyme Stimm­abgabe verzich­tet wird.“

Hinzu kommt, dass bei Online-Wahlen die Kontrolle einer öffentlichen Auszählung der Stimmen entfällt. Hier setzt auch das Bundesverfassungsgericht an, wenn es in seinem Urteil zur Zulässigkeit elektronischer Wahlgeräte in Stimmlokalen 2009 als zwingend unterstreicht, dass „die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuver­lässig und ohne besondere Sach­kenntnis überprüft werden können.“ Dieser Einwand gegen elektro­nische Wahlmaschinen gilt umso mehr für Online-Wahlen, zumal diese besonders an­fällig sind für die Manipulation einmal im Internet abgegebener Stimmen. Das Bewusstsein dafür ist seit der Debatte um russische Mani­pulationsversuche bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 deutlich gewachsen.

Eine 2017 veröffentlichte Studie der deutschen Tochter des russischen Software-Unternehmen Kaspers­ky hat er­geben, dass 54 Prozent der Befragten Online-Wahlen für „Sabotage-anfällig“ und zwei Drittel Hackeran­griffe für wahrscheinlich halten. 37 Prozent der Befragten sehen eine erhöhte Ge­fahr des Stim­menkaufs, 41 Prozent das Risiko einer doppelten Stimmabgabe. Die Hälfte der Befragten sieht die Gefahr der Veränderung der Stimmabgabe z. B. bei der Datenübermittlung. Diese Skepsis wiegt umso schwerer als es um eine reine  Online-Befragung von über 3.000 deutschen Wahlberechtigten handelte, also  lediglich eine internetaffine Zielgruppe befragt wurde. Selbst in dieser Zielgruppe sprechen sich nur die Hälfte der Befragten für eine „Stimmabgabe per Klick“ aus. Von einer für die Demokratie entscheidenden allgemeinen Akzep­tanz eines Wahlverfahrens ist dies weit entfernt.

Der nicht gewährleistete Schutz des Wahlgeheimnisses, erhebliche Manipulationsgefahren und die fehlende öffentliche Kontrolle des Wahlverfahrens sind entscheidend dafür, dass Online-Wahlen am Demokratietest scheitern. Da es sich hier um systemimmanente Probleme handelt, ist auch nicht absehbar, dass sich dies ändern könnte. Deshalb hat beispielsweise Norwegen das Experiment mit Online-Wahlen eingestellt.

In jedem Fall sind Wahlen als ein Fundament freiheitlicher Demokratie zu wichtig um sie zum Experimentierfeld zu machen. Ohne die allgemein anerkannte Legitimität demokratischer Wahlen ist nämlich der das demokratische System auszeichnende friedliche Machtwechsel gefährdet. Wenn zur Technikfaszination die Demokratiekompetenz kommt, zeigt sich schnell, dass bei Anwendung des im Grundgesetz verankerten entscheidenden Maßstabs der “allgemeinen, unmittelbaren, freien, glei­chen und geheimen Wahl“ die Urnenwahl der Stimmabgabe im Internet haushoch überlegen ist.

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1) 
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2) Auch im Internet muss der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung gelten. 
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4) Zur Technikfaszination muss Demokratie-kompetenz kommen.
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"BONN PACKT´S AN" IST ALS ONLINE-

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