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ONLINE-"BÜRGERHAUSHALTE" SIND IN

der Sackgasse, weil die Bürger mit großer Mehrheit die Teilnahme verweigern. Sie halten nichts von derartigen Internetabstimmungen, die als Spielzeug kleiner Internet-Aktivistengruppen keine demokratische Bindungskraft haben und sie nicht erhalten dürfen.
ONLINE-"BÜRGERHAUSHALTE" SIND IN

 

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Stephan Eisel

Online-„Bürgerhaushalte“ in der Sackgasse

Große Bürgermehrheit verweigert Internet-Abstimmungen

Seit mehr als fünf Jahren wird in deutschen Kommunen mit dem Internet-gestützten Online-„Bürgerhaushalt“ experimentiert. Bei diesem Verfahren stellen Kommunen ihren Haushalt im Netz zu Diskussion, erbitten Sparvorschläge der Bürger und lassen Online darüber abstimmen. Trotz erheblicher medialer und teilweise beachtlicher finanzieller Unterstützung haben sich solche Online-Bürgerhaushalte aber nicht durchgesetzt, sondern sind de facto gescheitert: Die angesprochenen Bürger verweigern fast vollständig eine Beteiligung,

Der Start politischer Beteiligungsangebote im Internet ist ein beliebter Gegenstand medialen Interesses. Wesentlich stiller ist es allerdings, wenn man nach der Bilanz fragt. Auch die politischen Initiatoren von Online-„Bürgerhaushalten“ lassen sich lieber für die Idee feiern als nach dem Ergebnis fragen. Die Anbieter der entsprechenden Software, die mit der dazu gehörigen Dienstleistung von den Kommunen eingekauft werden muss, wollen schon wegen ihres kommerziellen Interesses das eigene Produkt keinen Zweifeln ausgesetzt sehen.

So wird der nüchterne Blick auf die tatsächliche Bilanz von Online-„Bürgerhaushalte“ als viel gepriesenem Instrument von Bürgerbeteiligung von der medialen Technikfaszination allzu oft verdrängt: In keinem einzigen Jahr seit der Erfassung solcher Verfahren 2008 wurde in mehr als 97 von über 14.000 Städten und Gemeinden in Deutschland ein ganz oder teilweise internetbasierter „Bürgerhaushaltes“ durchgeführt. Auch auf diesem niedrigen Niveau geht die Gesamtzahl der Verfahren inzwischen weiter zurück.[1]

Vor allem aber verweigern die Bürger fast geschlossen die Beteiligung an solchen Internetplattformen, obwohl äußerst niedrigschwellig schon eine e-mail-Adresse zur Registrierung ausreicht. Die Initiatoren nehmen damit bewusst in Kauf, dass Ortsfremde ebenso teilnehmen können wie Mehrfachregistrierungen mit verschiedenen mail-Adressen zugelassen werden. Aber auch dass führt nicht zu einer nennenswerten Beteiligung.

2014 wurden nur noch zehn kommunale Online-„Bürgerhaushalte“ in Deutschland durchgeführt. Selbst unter dem Einschluss von Mehrfachregistrierungen und Ortsfremden lag die Beteiligung in der Hälfte der Fälle bei nur bei 0,5 Prozent der jeweils örtlich Wahlberechtigten. Nur in einem Fall (Fürstenwalde) erreichte sie mit 16,4 Prozent überhaupt einen erwähnenswerten, aber immer noch völlig unbefriedigenden Wert. Deutlich können Bürger einem Beteiligungsangebot kaum die kalte Schulter zeigen.

Ort /Wahlberechtigte Zeitraum Online-„Bürgerhaushalt“ Beteiligung in Prozent der Wahlberechtigten (absolute Zahl) (reg. E-Mail-Adressen, nicht bereinigt um Mehrfachregistrierungen und Ortsfremde)
Jena (85.068) Ohne zeitliche Begrenzung 0,5 Prozent (480)
Langenhagen (41.920) 06.03.- 20.7. 2014 0,5 Prozent (212)
Hasselroth (7.228) 30.06. – 10.08. 2014 0,3 Prozent (20)
Trier ( 84.291) 17.09. – 15.10.2014 3,5 Prozent (3.021)
Fürstenwalde (9.564) 01.09. – 30.09.2014 16,4 Prozent (1.569)
Nephten (18.603) 27.09. – 19.10.2014 0,3 Prozent (51)
Potsdam (130.541) 29.09. – 09.11. 2014 1,8 Prozent (2.396)
Mühlheim am Main (19.106) 29.09. – 20.10.2014 2,6 Prozent (514)
Bonn (226.487) 14.11. – 12.12.2014 1,9 Prozent (4.487)
Köln (729.081) 17.11. – 7.12.2014 0,5 Prozent (3.931)

 

Noch deutlicher wird die fehlende Legitimation solcher Online-Verfahren, wenn man die Stimmenzahl betrachtet, die auf einzelne Sparvorschläge entfallen. Nicht jeder registrierte Teilnehmer votiert nämlich zu jedem Sparvorschlag. Wo die Zustimmung zu einem Sparvorschlag am größten ist, bezeichnen Stadtverwaltungen und von ihnen beauftragte Software-Anbieter dies gerne, aber irreführend als „Bestenliste“. Tatsächlich handelt es sich bei solchen Abstimmungsergebnissen aber regelmäßig um Voten kleinster Minderheiten, wie diese Beispiele aus dem Jahr 2014 erneut belegen:

Ort /Wahlberechtigte Höchster Zustimmungsgrad zu einem Sparvorschlag
Trier ( 84.291) 114 Stimmen (0,1 Prozent der Wahlberechtigten)
Mühlheim am Main (19.106) 48 Stimmen (0,2 Prozent der Wahlberechtigten )
Bonn (226.487) 715 Stimmen (0,3 Prozent der Wahlberechtigten )
Köln (729.081) 341 Stimmen (0,04 Prozent der Wahlberechtigten)

 

Selbst die Zahl gewählter ehrenamtlicher Mandatsträger liegt in den Kommunen höher als solche Stimmenzahlen. Hinter derartigen „Spitzenreitern“ werden für allermeisten Sparvorschläge Stimmenzahlen abgegeben, die selbst im Promillebereich nicht mehr messbar sind.

Es verwundert deshalb nicht, dass selbst die wenigen Kommunen, die einen Online-„Bürgerhaushalt“ durchgeführt haben, diesen angesichts der Beteiligungsverweigerung der Bürger nicht wiederholt haben. Nur die Hälfte davon (48) wagten einen zweiten Versuch. Von den z. Zt. 76 Städten über 100.000 Einwohnern haben bisher lediglich 26 ein solches Verfahren durchgeführt, davon haben nur zwölf das Verfahren wiederholt.

Nur in einem Fall, nämlich in Bonn, kam es in einer größeren Kommune bisher zu drei Online-„Bürgerhaus­halten“.[2] Zu einer höheren Akzeptanz in der Bürgerschaft führte diese Verfahrenswie­derholung nicht. Aufschlussreich ist aber der in Bonn selbst von den Initiatoren eingeräumte Anteil Orts­fremder und Mehrfachregistrierter: bis zu einem Drittel der sowieso schon sehr niedrigen Teilnehmerzahlen entfallen auf diese Gruppe. Die um solche Manipulationen bereinigte Beteiligungsquote lag in Bonn 2011 bei nur 4 Prozent, 2013 bei 0,5 Prozent und 2014 bei 1,4 Prozent der Wahlberechtigten. Die Kosten für die Durch­führung ihres Internet-„Bürgerhaushaltes“ hat die Bonner Stadtverwaltung übrigens mit 300.000 Euro angegeben.

Die große Distanz der Bevölkerung zu derartigen Internet-Verfahren wird regelmäßig auch in wissenschaftli­chen Studien deutlich. So veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung im September 2014 unter dem Titel „Viel­fältige Demokratie“[3] die Ergebnisse einer telefonischen Befragung von 2.700 Bürgern ab 18 Jahren aus 27 Städten und Gemeinden – darunter auch Bonn – nach ihren bevorzugten kommunalen Beteiligungsformen. Un­ter allen Beteiligungsformen schnitt „Online-Beteiligung“ am deutlich schlechtesten ab. 43 Prozent der be­fragten Bürger lehnten „Online-Beteiligung“ als sehr schlecht bzw. schlecht ab, nur 33 Prozent hielten sie für sehr gut oder gut. Diese eindeutige Ablehnung von „Online-Beteiligung“ ist umso bemerkenswerter als in fast einem Drittel der einbezogenen Kommunen (8 von 27) Online-Beteiligungsverfahren (meist als „Bürgerhaus­halte“) bereits durchgeführt worden waren. Auch in Bonn überwog deutlich die Ablehnung des Verfahrens: 41 Prozent der befragten Bonner hielten es für sehr schlecht bzw. schlecht nur 25 Prozent für sehr gut bzw. gut. Das Fazit der Bertelsmann-Stiftung lautet: „Auffallend in der Rangliste demo­kratischer Beteiligungswege ist jedoch die ausgesprochen schlechte Bewertung neuer Formen der Online-Betei­ligung – diese haben von allen Beteiligungsfor­men die geringste Zustimmung erhalten. Nur die Online-Beteili­gung bewerten mehr Menschen eher negativ (43%) als positiv (33%). „

Wer Bürgerbeteiligung erst nimmt, darf die Ablehnung von Online-„Bürgerhaushalten“ durch die Bürger nicht ignorieren, sondern muss akzeptieren, dass die Ergebnisse solcher Internetabstimmungen angesichts der ver­schwindend geringen Beteiligung keine demokratische Bindungskraft entfalten können und dürfen. Bezeichnenderweise geben sich die meisten Verfechter solcher Online-„Bürgerhaushalte“ nicht mit einer wesentlich unproblematischeren Diskussionsplattform im Internet zufrieden, sondern beharren trotz der Ablehnung durch die Bürger auf dem Abstimmungsteil. Es ist jedoch nicht vertretbar, für solche Formen der Zwangsbeglückung das Zertifikat „Bürgerbeteiligung“ zu missbrauchen. Ohne Demokratiekompetenz landet Technikfaszination eben in der Sackgasse.

[1] Wiewohl von der Firma Zebralog GmbH als einem der Anbieter entsprechender Software mit eigenem kommerziellen Interesse verfasst spricht selbst der von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Servicestelle „Kommunen in der einen Welt“ herausgegebene „7. Statusbericht des Portals buergerhaushalt.org (Juni2014)“ von „der steigenden Zahl von Bürgerhaushalten auf dem Abstellgleis“ und räumt ein: “Zudem diskutieren offenbar weniger Kommunen über die Einführung eines Bürgerhaushaltes.“ http://buergerhaushalt.org/sites/default/files/7._Statusbericht_2014_Buergerhaushalte_in_Deutschland_13062014.pdf#overlay-context=de/article/siebter-statusbericht-zum-buergerhaushalten-deutschland-jetzt-online

[2] Dazu im einzelnen: https://internetunddemokratie.wordpress.com/2014/12/15/bonn-packts-an-manipulativ-und-ohne-legitimation/

[3] http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-CED45E4F-E5EB63FD/bst/xcms_bst_dms_40279_40280_2.pdf

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Aktuelles zum Thema Bürgerhaushalt

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1) 
In der Demokratie darf es keine Bevorzugung oder Ausschließlichkeit der digitalen Welt geben. 
2) Auch im Internet muss der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung gelten. 
3) Ohne Innovationskraft kann Demokratie den Stresstest der Internet-Dynamik nicht bestehen. 
4) Zur Technikfaszination muss Demokratie-kompetenz kommen.
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