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DISTANZIERT STEHEN ONLINE-PARTIZIPATION

selbst gut informierte und an der Internet-Partizipation sehr interessierte In­ternetnutzer gegenüber. Das zeigt die "Partizipationsstudie 2014" und belegt damit einmal mehr, dass zur Technikfaszination für das Internet auch Demokratiekompetenz kommen muss.
DISTANZIERT STEHEN ONLINE-PARTIZIPATION

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Stephan Eisel

Neue Partizipationsstudie entzaubert Online-Beteiligung
Selbst partizipationsinteressierte Internetnutzer bleiben mehrheitlich passiv

Die im Juni 2014 veröffentliche „Partizipationsstudie 2014“ des Berliner „Institut für Internet und Ge­sellschaft“[1] belegt in überraschender Deutlichkeit die Grenzen politischer Online-Beteiligung. Die Stu­die zeigt, dass selbst gut informierte und an der Internet-Partizipation sehr interessierte In­ternetnutzer eine bemerkenswerte Di­stanz an den Tag legen, wenn es um die eigene Beteiligung geht. 

Dies wird besonders deutlich, weil sich die Studie auf Personen beschränkte, die „Online-Angebote im Kontext politischer Themen (z.B. Online-Petitionen, Online-Konsulta­tionen oder kommu­nale Bürger­haushalte) oder wirtschaftliche Angebote (z.B. Ideenwettbewerbe, Design-Plattformen oder Crowdfun­ding) kennen oder aktiv nutzen.“ Aus dieser Personengruppe wurden 4.465 Personen an­geschrieben, von denen sich 504 an einer Online-Befragung beteiligten. Schon diese niedrige Rück­laufquote an sich besonders aktiver Netznutzer ist auffällig. Sie verhindert, dass die Befragungser­gebnisse im sozialwis­senschaftlichen Sinn „repräsentativ“ sind. Dennoch bietet die Studie inter­essante Aufschlüsse. 

Den Befragten musste mindestens ein politisches oder wirtschaftliches Online-Partizipationsange­bot bekannt sein. Als Formen politischer Partizipation wurden dabei zugrunde gelegt:

-         Abstimmung über eine bestimmte politische Frage bzw. einen Sachverhalt im Internet

-         Unterzeichnen einer E-Petition des Bundestages oder einer anderen Online-Petition

-         Beitritt zu einer oder mehreren politischen Gruppen in sozialen Netzwerken

-         Verfassen von eigenen Beiträgen und Kommentaren in Internetforen oder Blogs

-         Beteiligung an kommunalen Bürgerhaushalte

-         Eigenständiges Verfassen und Einstellen einer Online-Petition

-         Thematisch und zeitlich begrenzte Bürgeranhörung/-befragung im Internet

-         Kontaktieren eines Politikers über das Internet 

Obwohl die Kenntnis dieser Online-Partizipationsangebot gegeben und die Formen politischer Onli­ne-Partizipation sehr breit definiert worden waren, hatte nur die Hälfte der Befragten ein sol­ches Angebot schon einmal selbst genutzt. Besonders fällt auf, dass sogar von denjenigen, denen eine dieser Partizipationsformen spezi­fisch bekannt ist, sich daran nur zwischen 4 Prozent (Online-Petition erstellen) und höchsten 34 Pro­zent (Politische Sachverhalte abstimmen) beteiligen. 

Dies widerlegt die oft zu hörende Behauptung, Online-Partizipation werde deswegen nur von einer Minderheit genutzt, weil sie zu wenig bekannt sei. Sogar bei starkem bis sehr starkem Interesse an ei­nem bestimmen Online-Partizipationsangebot liegt die tatsächliche Teilnahmequote der entspre­chenden Gruppe dramatisch niedrig: Beim Erstellen von Online-Petitionen bei nur 3 Prozent, bei Online-Bür­gerhaushalten nur bei 11 Prozent, beim Beitritt zu politischen Netzwerken bei 10 Prozent und bei der Kontaktaufnahme mit Politikern bei 20 Prozent.Die Autoren der Studie erklären den drastischen Widerspruch zwischen Interesse und Beteiligung an Online-Partizipation einsilbig mit der „Komplexität der Aufgabe.“ Aber selbst bei sehr niedrig­schwelligen Angeboten wie dem Abstimmen im Internet oder dem Mitzeichnen von Online-Petitio­nen sind höchstens drei Viertel der an diesen Partizipationsformen stark bzw. sehr stark Interessier­ten mobi­lisierbar.

Zu Recht weisen die Autoren der Studie schon im Blick auf partizipationsinteressierte Internetnut­zer ausdrücklich auf die Möglichkeit hin, „dass eine für die Allgemein­heit wenig repräsentative Gruppe eine Partizipationsform nutzt.“Dies gilt natürlich in noch viel stärkerem Maß, wenn man als Bezugspunkt der Teilnahmequote alle Internetnutzer oder gar die Wahlbevölkerung zugrunde legt, von der übrigens ca. 25 Prozent das Internet gar nicht nutzt. 

Empirische Analysen bisheriger Online-Partizipationsplattformen belegen diesen Befund:

-          Trotz niedrigster Zugang­schwellen durch einfache e-mail-Registrie­rung  haben sich z. B. an den sog. Online-Bürger­haushalten incl. von Mehrfach-Anmeldungen und Ortsfremden meis­tens weniger als ein Pro­zent und nie mehr als fünf Prozent der dazu Berech­tigten beteiligt. 

-          Bei der mit großem Medienbeteiligung 2012 vom Landkreis Friesland gestarteten Beteili­gungsplattform “LiquidFriesland“ haben sich in mehr als 19 Monaten von über 80.000 Be­rechtigten nur 552 Bürger überhaupt registriert. Sogar die „erfolgreichsten“ Abstim­mungen haben nicht mehr als 50 Teilnehmer (in einem Fall waren es 104) erreicht. 

-          Beim Adhocracy-Ange­bot der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages haben sich 2011 - 2013 bundesweit (!) ledig­lich 12.579 Mitglieder re­gistriert, obwohl auch hier zur Anmeldung lediglich eine e-mail-Adresse genügte. Es wur­den auf diesem Weg aus der ganzen Republik nur 494 Vorschläge eingereicht und ledig­lich 2.356 Kommentare dazu abgegeben. 

-          Selbst bei der Piratenpartei, die sich über den Umgang mit dem Internet definiert und die konti­nuierliche Meinungsbildung und Entscheidungsfindung im Netz als eine ihrer zentralen Forde­rungen propagiert, stößt die parteiinterne Online-Abstimmungsplattform „Liquid Feedback“ nur auf sehr begrenztes Interesse. Dort sind von 7.988 stimmberechtigten Partei­mitgliedern  nur 922 aktiv, d. h. Haben sich innerhalb der letzten sechs Monaten wenigstens einmal ein­geloggt.  (Stand  jeweils 30. Juni 2014).   

Diesen ernüchternden Beteiligungszahlen stehen in diametralem Gegensatz zum Selbstverständnis von Online-Plattformen, das die Autoren der Partizipationsstudie treffend beschreiben: „Online-Par­tizipationsprojekte aus dem politischen Feld treten häufig mit dem Anspruch an, den Prozess politi­scher Willensbildung demokratisch zu legitimieren und so eine möglichst große und repräsentative Menge von Beteiligten zu erreichen.“ Sie ziehen eine nüchterne Bilanz :“Der euphorischen Hoff­nung, das Internet würde zu mehr Demokratie und breiterer Beteiligung führen, stehen empiri­sche Erkennt­nisse entgegen, wonach sich bei Partizipationsangeboten online ähnliche Nutzergruppen be­teiligen wie in klassischen Partizipationsformaten.“ 

Die „Partizipationsstudie 2014“ zeigt einmal mehr, dass die Faszi­nation über die techni­schen Mög­lichkeiten des Internets nicht von der Frage nach den Chancen und Gefahren für die Demokratie entbindet. Zur Technikfaszination muss Medienkom­petenz kommen und zur Medienkompetenz gehört zwingend die Demokratiekompetenz. Wer die Chancen des Inter­nets für Bürgerbe­teiligung sinnvoll nutzen will, muss neben den Möglichkeiten auch die Grenzen des Netzes kennen. Nur eine sachliche und nüchterne Betrachtung verhindert Irrwege im Cyber­space.


 

[1]     http://www.hiig.de/wp-content/uploads/2014/06/20140609_Studie_DIGITAL.pdf

      Das Institut wurde 2012 von der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität der Künste Berlin sowie dem Wissen­schaftszentrum Berlin für Sozi­alforschung gegründet mit dem Hans-Bredow-Institut für Medienforschung Hamburg als integriertem Kooperationspartner.

 

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